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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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erscheinen.
    »Ich sehe, du bist bereit«, sprach der Doge so feierlich wie zuvor. »Rufe uns Moretta.«
    |58| Colombina erinnerte sich – so hieß die Ärmste, deren Platz nunmehr sie einnahm. Das Mädchen hatte sich zusammen mit diesem Lykanthrop erschossen.
    Ophelia blieb ein paar Sekunden reglos. Dann sagte sie: »Ja … ja … Ich höre sie … Sie ist weit weg, kommt aber immer näher …«
    Das Medium hatte eine verblüffende Stimme – hoch, durchdringend, ganz kindlich. Um so erstaunlicher war die Veränderung, die im nächsten Moment mit Ophelia vorging.
    »Ich bin’s, Moretta. Was wollt ihr wissen?« sagte sie plötzlich mit gänzlich anderer Stimme – in tiefem rauhem Kontraalt.
    »Das ist Morettas Stimme!« rief Loreley Rubinstein. »Hört ihr?«
    Die Anwesenden am Tisch kamen in Bewegung, die Stühle knarrten, aber Prospero ruckte ungeduldig mit dem Kopf, da wurde es wieder still.
    »Moretta, mein Mädchen, hast du dein Glück gefunden?« fragte er.
    »Nein … Ich weiß nicht … Mir ist so sonderbar … Hier ist es dunkel, und ich kann nichts sehen. Aber da ist jemand bei mir, berührt mich mit den Händen, atmet mir ins Gesicht …«
    »Das ist Er! Der Ewige Bräutigam!« flüsterte Loreley leidenschaftlich.
    »Still!« blaffte der Buchhalter Caliban sie an.
    Die Stimme des Dogen war zärtlich, ja, schmeichelnd: »Du bist noch nicht ans Jenseits gewöhnt, und es fällt dir schwer zu sprechen. Aber du weißt, was du uns mitteilen sollst. Wer wird der Nächste sein? Wer soll auf das Zeichen warten?«
    |59| Die Stille wurde so intensiv, daß man die Kohlen im Becken knacken hörte.
    Ophelia schwieg. Colombina spürte, daß der kleine Finger Petjas, der rechts neben ihr saß, bebte. Und plötzlich erzitterte sie selbst: Wenn nun der Geist dieser Moretta den Namen der neuen Anwärterin nennt? Doch noch stärker als die Angst war die Kränkung. Wie ungerecht wäre das! Gerade ist sie in den Klub eingetreten, hat sich kaum umgeschaut, und schon das!
    »A… A-a-a… Abaddon«, sprach Ophelia sehr leise.
    Alle drehten sich nach dem häßlichen Studenten um, und seine Nachbarn, der Prosektor Horatio und einer der Zwillinge (Colombina hatte sich nicht gemerkt, wer welchen Namen trug), zogen unwillkürlich die Hände weg. Auf Abaddons Gesicht erschien ein verwirrtes Lächeln, aber er sah nicht das Medium an, sondern Prospero.
    »Ich danke dir, Moretta«, sagte der Doge. »Kehre nun zurück in deine neue Heimstatt. Wir wünschen dir ewiges Glück. Rufe uns Lykanthrop.«
    »Lehrer …« Abaddon schluckte, aber Prospero ruckte herrisch mit dem Kinn.
    »Schweig. Das bedeutet noch gar nichts. Fragen wir Lykanthrop.«
    »Ich bin schon hier«, ließ sich Ophelia mit heiserer Jünglingsstimme vernehmen. »Der Hochzeiter grüßt die ehrenwerte Gesellschaft.«
    »Ich sehe, du bist auch dort ein Spaßvogel«, sagte der Doge auflachend.
    »Warum nicht, hier ist es lustig. Besonders wenn man euch alle anschaut.«
    »Sag an, wer ist der Nächste?« fragte Prospero streng den Geist. »Aber ohne Scherze.«
    |60| »Ja, damit scherzt man nicht …«
    Colombina sah Ophelia unverwandt an. Unglaublich! Wie konnte der Mund dieses zarten Mädchens in einem so selbstsicheren natürlichen Bariton sprechen?
    Lykanthrops Geist sagte deutlich: »Abaddon, wer sonst?« Und mit einem kurzen Lachen: »Das Brautbett ist schon bereit …«
    Abaddon stieß einen spitzen Schrei aus, und dieser seltsame, kehlige Laut weckte das Medium Ophelia aus der Trance. Sie zuckte zusammen, ihre Wimpern flatterten, sie rieb sich die Augen, und als sie die Hände wegnahm, sah ihr Gesicht aus wie zuvor: zerstreut, dann und wann von einem schüchternen und scheuen Lächeln aufgehellt. Die Augen waren nicht mehr schwarz, sondern wieder hell und feucht von Tränen.
    Jemand zündete die Kerzen an, und bald brannte auch der Lüster, so daß es im Salon ganz hell war.
    »Wie ist sein richtiger Name?« fragte Colombina, die den Blick nicht von dem Auserwählten wenden konnte (auch alle anderen sahen nur ihn an).
    »Nikifor Sipjaga«, murmelte Petja verwirrt.
    Abaddon stand auf und blickte die Anwesenden mit einem seltsamen Ausdruck an, in dem sich Angst und Überlegenheit mischten.
    »Karambolage«, sagte er lachend, schluchzte kurz auf und lachte wieder.
    »Gratuliere!« rief Caliban gefühlvoll und drückte dem Verurteilten kräftig die Hand. »Pfui, deine Hand ist ja schweißnaß. Hast wohl die Hosen voll? Ach, Dumm hat Glück!«
    »Was … Was jetzt?« fragte

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