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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Abaddon den Dogen. »Ich kann keinen klaren Gedanken fassen … Bin völlig durcheinander.«
    |61| »Beruhige dich.« Prospero trat zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter. »Man weiß doch, daß die Geister die Lebenden gern foppen. Ohne das Zeichen bedeutet es rein gar nichts. Warte auf das Zeichen und sieh zu, daß du keine Dummheiten machst … Das war’s, die Sitzung ist geschlossen. Ihr könnt gehen.«
    Er kehrte den Anwärtern den Rücken, und die strebten dem Ausgang zu.
    Colombina, von dem Gesehenen und Gehörten zutiefst erschüttert, folgte dem unnatürlich geraden Rücken Abaddons mit dem Blick – er verließ den Salon als erster.
    »Komm!« Petja nahm ihre Hand. »Das war’s.«
    Da ertönte halblaut eine gebieterische Stimme: »Die Neue soll noch bleiben!«
    Colombina vergaß schlagartig Abaddon und Petja. Sie drehte sich um und fürchtete nur das eine – sich verhört zu haben.
    Prospero, ohne den Kopf zu wenden, hob die Hand und winkte: Komm.
    Petja, der falsche Arlecchino, blickte ihr kläglich ins Gesicht und sah es von glücklicher Röte überzogen. Er trat von einem Fuß auf den anderen, stieß einen Seufzer aus und ging ohne Murren zur Tür.
    Gleich darauf war Colombina mit dem Hausherrn allein.
     
    Die weggeworfene Puppe
     
    »Es war so. Draußen heulte der Wind, bog die Bäume nieder. Das Blechdach dröhnte, der Himmel wetterleuchtete. Die Natur, von titanischen Leidenschaften überwältigt, tobte.
    Ebensolche Leidenschaften durchrasten Colombinas Seele. |62| Ihr kleines Herz blieb fast stehen, dann wieder flatterte es, wie ein Falter gegen Fensterglas.
    Und er – er kam ohne Eile näher, legte ihr die Hände auf die Schultern und sprach während des ganzen mystischen Rituals kein einziges Wort. Es bedurfte auch keiner Worte, dieser Abend gehörte dem Schweigen.
    Er preßte Colombinas schmales Handgelenk und zog sie hinter sich her durch die dunkle Zimmerflucht. Die Gefangene glaubte, beim Durchschreiten der Räume eine Reihe von Verwandlungen durchzumachen wie ein Schmetterling.
    Im Speisezimmer war sie noch eine Larve, schüchtern, zusammengekrümmt, kraftlos; im Kabinett erstarrte sie vor Entsetzen und verwandelte sich in eine blinde und bewegungslose Puppe; im Schlafzimmer jedoch, auf einem ausgebreiteten Bärenfell, war es ihr beschieden, ein buntgeflügelter Schmetterling zu werden.
    Es fehlt an Worten, um das Geschehen wenigstens annähernd zu beschreiben. Die Augen der Frau, deren Jungfräulichkeit da geopfert wurde, standen weit offen, sahen aber nichts als huschende Schatten an der Zimmerdecke. Was die Empfindungen betrifft … Nein, ich erinnere mich nicht. Ein Gefühl von Kälte, von Hitze, wieder Kälte – das ist wohl alles.
    Den Genuß, von dem die französischen Romane schreiben, gab es nicht. Den Schmerz auch nicht. Es gab die Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu tun – womöglich würde er sich verächtlich abwenden, und das Ritual bräche ab, bliebe unvollendet. Darum sagte und tat Colombina nichts, fügte sich nur seinen weichen, doch erstaunlich herrischen Händen.
    Ich weiß nur das eine – es dauerte nicht lange. Als ich allein |63| durch den Salon zurückging, waren die Kerzen noch nicht zur Hälfte heruntergebrannt.
    Ja, er machte mit der gehorsamen Marionette nicht viel Federlesens. Zuerst nahm er sie einfach und sicher und ohne den leisesten Zweifel an seinem Recht, danach stand er auf und sagte: ›Geh.‹ Nur dieses eine Wort.
    Betäubt, fassungslos hörte Colombina das Schlurfen der sich entfernenden Schritte, eine Tür knarrte sacht, und die Einweihungszeremonie war beendet.
    Ihre Kleider lagen auf dem Fußboden wie eine weggeworfene Puppe. Na und, eine weggeworfene Puppe, das war etwas ganz anderes als eine verlassene Puppe!
    Der neugeborene Schmetterling stand auf, schlug die weißen Hände zusammen wie Flügel. Drehte sich um sich selbst. Also gehen.
    Sie ging allein den menschenleeren Boulevard entlang. Der Wind schleuderte ihr abgerissene Blätter und feinen Sand ins Gesicht. Ach, wie frohlockte, wie freute sich die Nacht darüber, daß ihre Reihen sich vermehrt, daß der Sturz aus dem Licht in die Finsternis vollzogen war!
    Es gibt also auch solch einen Genuß – aufs Geratewohl durch leere Straßen zu schlendern, ohne den Weg zu kennen. Fremde, unbegreifliche Stadt. Fremdes, unbegreifliches Leben.
    Dafür ist es das richtige Leben. Richtiger geht’s nicht.«
     
    Colombina überlas ihre Tagebucheintragung. Den Absatz vom Genuß strich sie

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