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Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Titel: Magierdämmerung 03 - In den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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Besitz zu ergreifen.
    Ich war tot. So viel glaubte sie bislang mit Sicherheit zu wissen. Erneut zuckten die Bilder des grausamen Mörders mit der Sonnenbrille und dem breitkrempigen Hut durch ihren Kopf. Er hatte sie entführt, nach Stonehenge verschleppt und dort bis auf die Schwelle des Infernos selbst gezerrt. Der Ort hatte wie ein heidnischer Opfertempel ausgesehen, und vielleicht war ihr Tod der Preis, den man zahlen musste, um der Hölle in den Schlund blicken zu dürfen.
    Nein … Das war falsch. Das Inferno konnte ihren Tod nicht gewollt haben, denn sie war eine brave Christin, die sich nichts hatte zuschulden kommen lassen. Außerdem haben mich nicht die Gewalten des Chaos getötet, sondern ein Mensch. Die Gier und die Boshaftigkeit des Vermummten hatten sie umgebracht. Und nicht nur das. Jonathans Verrat hat seinen Teil dazugetan.
    Der Gedanke an den jungen Mann ließ Zorn in ihr auflodern. Sie hatte ihn geliebt, war bereit gewesen, für ihn alle gesellschaftlichen Grenzen zu überschreiten, die sie trennen mochten. Doch er hatte sie enttäuscht. Wieder und wieder. In den schönen Worten, mit denen er sie umworben hatte, war bereits die Saat seines Verrats angelegt gewesen. Und in der Höhle unter Stonehenge hatte sich seine ganze Charakterschwäche offenbart.
    Er hätte mich retten können. Hat der Vermummte nicht lediglich nach einem Ring verlangt? Aber Jonathan wollte ihn nicht hergeben. Ein Schmuckstück war ihm wertvoller als mein Leben. Wütend schlug sie mit den Schwingen, die sie auf den ewigen Winden dieses Ortes hinauf in einen brodelnden Wolkenkessel trugen. Wie hatte er sie nur so schändlich im Stich lassen können? Was war das für ein Ring gewesen?
    Das Bild einer jungen rothaarigen Frau stieg vor ihrem inneren Auge auf. Sie hatte einfache Kleider getragen, zweifellos ein Mädchen vom Land. Aber auch der Schmutz der Armut hatte ihre Schönheit nicht verbergen können. Mit ihrer hellen Haut, zart von Sommersprossen gesprenkelt, dem schlanken, unberührten Körper, dem vollen, feurig roten Haar war sie zweifellos eine Frau, der ein Mann nur schwer widerstehen konnte. Was hatte sie in dem Tempel zu suchen gehabt? Wer war sie? Sie schien Jonathan zu kennen, besser, als ihn eine Frau eigentlich kennen dürfte. Hatte diese Dirne, diese Hexe, Jonathan bezirzt? Oder schlimmer noch: Hatte Jonathan sie sich zum Liebchen genommen, weil er nach dem Vorfall im Savoy Hotel nicht mehr an eine Verbindung mit Elisabeth glaubte?
    Sie erinnerte sich daran, dass der vermummte Attentäter Jonathan auf die Probe gestellt hatte. »Lieben Sie diese Frau, oder lieben Sie sie nicht?« Und als Jonathan zögerte, hatte der Mörder das rothaarige Mädchen angeschaut und erkannt, dass er die falsche Geisel in den Armen hielt.
    Voller Wut kreischte Elisabeth auf. Ihre Finger verkrampften sich klauenartig, und sie schlug ein paar Mal heftig mit den mächtigen Schwingen. Alles hatte so kommen müssen – ihre Entführung, ihr Ableben durch die Hand eines gemeinen Meuchlers und ihre Wiedergeburt im Inferno – , damit sie die Schlechtigkeit der Menschen, an die sie früher nie geglaubt hatte, endlich erkannte.
    Der Vermummte hatte ihr Leben zerstört, aber er hatte es gleichzeitig gerettet, denn durch sein Handeln war sie davor bewahrt worden, die Verlobung mit einem Mann anzustreben, der im Herzen ein Feigling, ein Verräter und ein Lustmolch war. Und vielleicht war das hier auch nicht die Hölle, sondern eine Art Fegefeuer, ein Ort der Reinigung, an dem eine göttliche Macht entschieden hatte, dass Elisabeths Tod Unrecht sei.
    Deshalb wurde ich zurückgebracht, und man gab mir besondere Kräfte. Das musste es sein! Waren die Rachegöttinnen der Antike, die Erinyen, nicht Frauen mit grauer Haut und schwarzen Flügeln gewesen? Ich wurde erwählt, um zu richten. Und, oh ja, richten werde ich. Gott möge mir nur den Weg zurück zeigen, und ich werde sie alle in Seinem Namen bestrafen.
    Elisabeth spürte eine neue Zuversicht in sich aufsteigen. Alles ergab auf einmal einen Sinn, genau so, wie es sein sollte. Nur eines blieb ihr noch zu tun. Sie musste sich endgültig von ihrem alten Ich trennen.
    Ich bin nicht länger Elisabeth , wiederholte sie innerlich, doch diesmal schwang mit dem Gedanken keine Verzweiflung, sondern Entschlossenheit mit. Sie versuchte sich an das zu erinnern, was sie über griechische Mythologie gelesen hatte. Wenn sie sich recht entsann, gab es drei Rachegöttinnen: Alekto, die unerbittliche Jägerin,

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