Magische Verführung
Haarsträhne hinters Ohr. In einem aussichtslosen Versuch, modisch zu sein, hatte sie ihr Haar in einen Knoten geschlungen und mit zwei Essstäbchen befestigt. »Oder sollen wir noch mal deine Mutter anrufen?«
Sie hatte Mrs Nicholson bereits in Kenntnis gesetzt, dass Bryan später nach Hause käme. Die Frau hatte es mit Fassung getragen, immerhin hatte sie drei Jungs. »Irgendeiner sitzt immer nach«, hatte sie lachend gesagt. »Zach kann den Lümmel dann nach Hause bringen.«
»Was meinst du, Bryan?«, fragte Annie noch einmal.
»Nein. Du hast gesagt, ich darf auf Onkel Zach warten.« Er blickte finster vor sich hin. »Versprechen sind dazu da, gehalten zu werden, das sagt Onkel Zach auch immer.«
»Das stimmt.« Annie lächelte. »Hoffen wir nur, dein Onkel lässt nicht so lange auf sich warten.«
»Haben Sie noch was vor?« Die tiefe Männerstimme wirkte in ihrem Klassenzimmer vollkommen deplatziert.
Bestürzt sprang Annie auf und drehte sich um. »Onkel Zach?«
Von seinem Lächeln bekam sie weiche Knie. »Zach reicht.« Wasserblaue Augen, glattes schwarzes Haar, kupferfarbene Haut und hohe Wangenknochen, die auf indianische Abstammung verwiesen. »Sie haben angerufen.«
Und er war gekommen.
Bei diesem Gedanken wurden ihre Wangen ganz heiß. »Annie Kildaire, Bryans Lehrerin.«
Sie streckte ihm die Hand entgegen, seine strahlte eine solche Hitze aus, dass es ihr durch und durch ging.
Bestimmt war sie inzwischen puterrot. In Gesellschaft gut aussehender Männer war sie einfach hoffnungslos verloren. Und »Onkel Zach« war wohl der schönste Mann, den sie je gesehen hatte.
Zudem starrte er sie die ganze Zeit an. Wahrscheinlich wegen ihrer chronisch unordentlichen Haare und ihrer glühenden Wangen. Beschämt senkte sie die Lider. Vergeblich versuchte sie die Hand wegzuziehen, doch er hielt sie weiterhin fest und richtete den Blick nun auf seinen Neffen. Bryan starrte nach wie vor bockig vor sich hin. Er bedachte seinen Onkel mit einem Blick, der »Verräter« zu sagen schien.
Zach wandte seine Aufmerksamkeit wieder Annie zu. »Erzählen Sie mir, was vorgefallen ist.«
»Könnten Sie ...« Wieder zog sie an der Hand.
Nach kurzem Zögern ließ er ihre Hand los. Ihre Finger kribbelten noch immer. Hastig rückte sie einen Stapel Hefte zurecht. »Möchten Sie sich vielleicht setzen?« Er überragte sie um zwei Köpfe. Das war auch keine Kunst, aber die breiten Schultern und der muskulöse Körper hatten etwas Einschüchterndes. Ein Soldat, dachte sie. Ja, so jemand musste den Rang eines Soldaten haben, so weit kannte sie sich in der Hierarchie des DarkRiver-Rudels aus.
»Ich stehe lieber.«
»Okay.« Sie selbst blieb auch stehen, wobei ihr das, ehrlich gesagt, kaum einen strategischen Vorteil verschaffte.
Aber hätte sie sich nun auch noch hingesetzt, dann hätte ihr allein seine Größe womöglich noch die Sprache verschlagen. »Bryan hat einen Klassenkameraden geschlagen. Er weigert sich aber, mir zu sagen, warum.«
»Verstehe.« Zachs Miene verfinsterte sich. »Warum ist der andere Jungen nicht hier?«
Er glaubte doch nicht etwa, sie würde manche Kinder bevorzugen? »Morgan liegt auf der Krankenstation. Er ist ziemlich ... zerbrechlich.«
Zach hob eine Augenbraue. »Zerbrechlich?«
Nun hätte sie ihn am liebsten selbst mit einem bösen Blick gestraft. Er wusste sehr wohl, was sie meinte. »Morgan ist nicht sehr robust.« Zudem hatte er eine Mutter, die ihn wie ein rohes Ei behandelte. Da Annie als Kind unter der gleichen Situation sehr gelitten hatte, wäre sie zu gerne bereit gewesen, Morgans Mutter ins Gewissen zu reden, doch der Junge genoss diese Form der Aufmerksamkeit offenbar. »Er wollte nicht mehr in Brians Nähe bleiben, obwohl ich auch lieber mit beiden Kindern gemeinsam geredet hätte.«
»Ist er ein Mensch?«, fragte Zach.
»Nein.« Sie versuchte, nicht allzu triumphierend zu gucken, denn offensichtlich hatte er damit nicht gerechnet.
»Ein Schwan.«
»Schwäne sind zwar keine Raubtiere« - aus genau diesem Grund war es Morgans Familie auch erlaubt, im Territorium des DarkRiver-Rudels zu leben - »aber schwach sind sie auch nicht gerade.«
»Menschen aber schon?«, fragte sie ärgerlich.
Verwundert sah er sie an. »Habe ich das etwa gesagt, Schätzchen?«
Sie spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. »Ich bin Bryans Lehrerin.«
»Und nicht meine.« Er grinste. »Vielleicht sind Sie ja knallhart, Frau Lehrerin.«
Das ganze Schuljahr hatte Annie mit DarkRiver-Raubkatzen
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