Magische Zeiten - Ploetzlich verzaubert
wie ich sollten auftreten, unter anderem Ich-rap-dich-an-die-Wand-Matthias. Patricia aus der Parallelklasse sang was von Avril Lavigne und irgendein Typ eine Klasse unter mir spielte was auf dem Klavier. Was Klassisches, so weit ich wusste. Mein Auftritt sollte der vorletzte sein, so gegen 20 Uhr 15.
Ich sprang unter die Dusche, noch immer hübsch baldriancool, dann zog ich ungefähr so was an wie zu Toms Geburtstag. Also hochgekrempelte Jeansshorts, geringelte Strumpfhose (orange-rot diesmal), schwarzes T-Shirt, schwarze Turnschuhe. Dann setzte ich noch einen schwarzen Hut von meiner Mutter auf. Die Fingernägel lackierte ich diesmal rot mit orangenen Punkten. Tom brachte mir eine Tasse Nerventee, den Tante Jenny immer trinkt, wenn sie mal wieder Liebeskummer hat. Er schmeckte ekelhaft, aber das war egal. Dass Tom sich so um mich kümmerte, machte mich glücklich. Ich bedankte mich mit einem Kuss auf seine Wange, dann tastete ich nach dem silbernen Armkettchen mit dem Mond dran, das er mir geschenkt hatte. Mit seinem Armband fühlte sich mein anderes, leeres Handgelenk nur halb so nackt an.
Als wir die Treppe hinunterkamen, versammelte sich die ganze Familie vor der Haustür. Also ohne Suse natürlich und trotz allem machte mich das traurig. Ich schluckte den Kloß im Hals entschlossen hinunter, dafür war jetzt kein Platz in meinem Kopf. Tante Jenny spuckte mir über die Schulter und sagte: »Toi, toi, toi!«
Mama hatte aus irgendeinem Grund Tränen in den Augen und drückte mich an sich. Papa boxte mir mit dem Ellbogen in die Seite. »Bis gleich. Du packst das.«
Opa strich mir mit dem Daumen über die Stelle zwischen den Augenbrauen, wo sich seiner Ansicht nach das dritte Auge befindet. »Ich bin sicher, du schaffst das, Luna!«
Im Grunde genommen behandelten mich alle so, als würde ich auf Weltreise gehen, Rückkehr ungewiss. Greg war der Einzige, der es anders machte. Der mich ansah und die Worte fand, die mir das Gefühl gaben, einfach alles schaffen zu können. Gipfel stürmen, Berge versetzen, übers Wasser gehen, alles. Ausgerechnet Greg, unglaublich. »Ich würde sagen: Jill Valentine«, rief er.
Oh, wie ich ihn anstrahlte. Jill Valentine aus den Resident-Evil-Spielen ist für ihn die Göttin überhaupt. Er hat die Wände seines Zimmers mit ihr zugepflastert. Hammerkörper, wunderschönes Gesicht, dunkle Haare. Unbesiegbar. Ein »Ich würde sagen: Jill Valentine« war das lässigste Kompliment, das man sich aus seinem Mund überhaupt vorstellen konnte. Ich wuchs sofort um mindestens zehn Zentimeter in die Höhe und meine Schultern strafften sich. So, wie Jill Valentine im Angesicht des Endgegners dastehen würde.
In der Schulaula herrschte schon mächtig Trubel. Girlanden und Luftballons baumelten von den Decken, Brötchen wurden geschmiert und Stühle aufgestellt. In einer Ecke bauten Schüler der zwölften Klasse eine Bar mit Getränken auf. Die Bühne war wenig aufregend mit Kabeln und schwarzen Stoffbahnen dekoriert, ich wusste aber von Alenya, die im Organisationskomitee war, dass ganz zum Schluss, wenn alle noch einmal auf der Bühne waren, eine Konfettikanone losgehen sollte.
Ich zog mich mit Tom in die Turnhalle zurück, sozusagen unsere Garderobe. Die anderen waren schon da, natürlich auch Wannabe-Gangsta Matthias. Ich machte mich auf eine weitere Szene von ihm gefasst, aber er blieb einfach nur in seiner Ecke hocken, hängte sich ab und zu aus dem Fenster, um eine Zigarette zu rauchen, und tat so, als ob ich ne Tarnkappe aufhätte.
Das war mir gerade recht, und sosehr sie mir auch auf die Nerven ging, war ich Marli immer noch dankbar für das Justin-Bieber-Herz, das sie ihm verpasst hatte. Obwohl ich nach wie vor nicht kapierte, wie das vor sich gegangen war. Seitdem jedenfalls hatte er sich seine Mädchen-können-nicht-rappen-und-gehören-in-die-Küche-Sprüche mir gegenüber verkniffen. Und als ich gerade so an Marli dachte und wie sie sich furchtlos vor dem mindestens zwei Köpfe größeren und doppelt so breiten Matthias aufgebaut hatte, erinnerte ich mich daran, wie sie zu Suse gesagt hatte, dass sie sich niemals freiwillig auf eine Bühne stellen würde. Dass sie sterben würde vor Panik.
Na ja, so hat jeder wohl vor was anderem Angst.
Tom veranstaltete ein Riesentheater. Er massierte meine Hände, fragte mich ständig, ob ich noch was brauchte, rannte immer wieder zum Mischpult, um sicherzustellen, dass die CD mit meiner Musik noch da und nicht irgendwohin verschwunden war, er
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