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Magma

Magma

Titel: Magma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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alten Geschichten langweilen.«
    »Ich langweile mich keineswegs«, sagte Ella mit vollem Mund. Das Fleisch war köstlich, aber irgendwie fiel es ihr gerade schwer, sich auf ihr Essen zu konzentrieren. »Bitte erzählen Sie doch weiter.«
    Er zuckte die Schultern. Dann setzte er sich hin und begann ebenfalls zu essen. »Wie Sie wollen«, sagte er schmatzend und spülte das Fleisch mit einem Schluck Wodka hinunter. »Ich habe damals brav gezahlt. Wollte keine Scherereien. Außerdem bekam man gutes Geld. Nicht so mein Freund Anatoli. Er hatte Familie zu Hause, drei Kinder. Er brauchte jeden Rubel. Er hat sich geweigert zu zahlen. Hat versucht, sich gegen die Erpresser zu organisieren. Eines Tages fand man ihn, gekreuzigt an einem Pipelinerohr. Den Körper mit Schweißbrennern beinahe bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Wir alle wussten, wer das getan hatte.
Sie
waren es. Die Gesichtslosen, die Feiglinge. Eines Tages kam Boris zu mir und sagte es mir offen ins Gesicht. Er sagte, ich solle es nicht persönlich nehmen, es diene lediglich der Abschreckung. Wir sollten alle ruhig weiterarbeiten und zahlen wie bisher, dann wäre alles in Ordnung.«
    »Und?«
    »Ich habe ihn getötet, vor versammelter Mannschaft. Mit meinem Messer. Niemand kam ihm zur Hilfe. Alle haben zugesehen, wie er verblutete. Und als es mit ihm zu Ende ging, sah ich den Respekt in ihren Augen. Alle wussten, dass ich nicht bleiben konnte. Also hab ich meine Tasche gepackt und bin gefahren. Hierhin, ins Haus meines Großvaters. Meine Ersparnisse habe ich Anatolis Familie geschickt. Hier draußen braucht man ja nicht viel.« Ein trauriges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. »Manchmal ist es etwas einsam, das gebe ich gern zu. Aber Geld? Geld ist hier draußen ohne Bedeutung.« Er seufzte. »Jetzt wissen Sie es also. Sie werden diese Nacht mit einem Mörder verbringen. Ich hoffe, Sie können trotzdem ruhig schlafen.«
     
    Es war kurz nach Mitternacht, als Ella von einem seltsamen Geräusch geweckt wurde. Es war ein Scharren, als würde etwas über den Boden kratzen. Sie schlug die Augen auf. Der fahle Mond zeichnete ein leuchtendes Quadrat auf den Boden, während er einen Lichtstrahl durch das eisverkrustete Fenster schickte. Sie richtete sich auf und blickte nach draußen. Der Sturm hatte aufgehört. Verschwommen erkannte sie eine winterliche Landschaft, die im blauen Licht des Mondes wie eine Szene aus einem russischen Märchen wirkte. Sie drehte sich um, während sie nach der Ursache für dieses seltsame Geräusch forschte. Der Professor und sie lagen auf einem Lager aus Decken und Fellen auf dem Boden, während der Jäger auf der anderen Seite des Raumes in seinem Bett lag. Der Wolf hatte sich neben ihn gelegt und schien ebenfalls tief zu schlummern. Beide gaben ein leises Schnarchen von sich. Im Kamin knackten die letzten Überreste des abendlichen Feuers, während die Glut langsam erkaltete und zu Asche zusammenfiel. Es würde ein eisiger Morgen werden. Ella strich sich übers Gesicht. Während ihre Augen suchend in der Dunkelheit der Hütte umherspähten, schwirrten ihr Fragmente von Alexejs Erzählung durch den Kopf. Der Mord – seine Flucht – die Entdeckung der Kugel – all das vermengte sich in ihrem Traum zu einem heillosen Durcheinander aus Fakten und Fiktion. Der schwer verdauliche Kaninchenbraten sowie das Übermaß an Alkohol taten ein Übriges. Doch so verwirrend der Traum auch gewesen sein mochte, es stand fest, dass die Reise kein völliger Reinfall war. Alexej hatte ihr ausführlich von seinem Fund berichtet. Sämtliche Details, angefangen von dem blendenden Licht über die Hitze bis hin zu den Erdstößen. Seine Entdeckung ließ nur einen Schluss zu. Hier lag ein weiteres dieser mysteriösen Objekte. Seinen Abmessungen und der Beschaffenheit seiner Oberfläche nach schien es identisch mit der Atacama-Kugel zu sein.
    Sie fragte sich allerdings sorgenvoll, was das Staatliche Forschungszentrum für Virologie und Biotechnologie, das unter dem Namen VEKTOR bekannt war, mit dem Fund plante. Es hatte bereits Tote gegeben. Das hielt die Forscher aber nicht davon ab, das Objekt weiterhin zu untersuchen und es wie ein Schwarm von Fliegen zu umkreisen. Neugier überwog Furcht, so war es schon immer gewesen. VEKTOR hatte Verbindungen zum Militär. Was das bedeutete, davon konnte Ella ein Lied singen. Nicht auszudenken, was alles geschehen konnte, wenn jemand das Geheimnis dieser Kugeln entschlüsselte und die Informationen in falsche

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