Magma
Hände leitete. Es gab so viele Wenn und Aber, dass einem schlecht werden konnte.
Ella gähnte. Sie war müde. Und morgen war schließlich auch noch ein Tag. Das Geräusch, das sie geweckt hatte, war schon so gut wie vergessen.
Sie wollte sich gerade wieder hinlegen, als sie es erneut hörte. Es klang, als wäre es direkt neben ihrem Ohr. Ein Knirschen, als würde jemand mit den Zähnen …
Sie beugte sich zu ihrem Kollegen hinüber und sah sofort, dass etwas nicht stimmte. »Professor? Ist Ihnen nicht gut?« Das Gesicht von Konrad Martin war schweißüberströmt, seine Augen weit aufgerissen. Den Mund hatte er geöffnet, und zwischen seinen zusammengepressten Zähnen drang weißer Schaum hervor.
»Oh Gott, was haben Sie denn? Sagen Sie doch etwas.«
Sie legte ihre Hand auf seine Stirn. Er glühte. Zwischen seinen Zähnen drangen unartikulierte Laute hervor. Er schien ihr etwas sagen zu wollen. Sie hielt ihr Ohr an seinen Mund.
»Kälteschock …«, konnte sie verstehen und dann noch ein anderes Wort:
»… Naniten.«
Er war im Delirium und redete wirres Zeug. Der Mann hatte einen Fieberschub, so viel war klar. Zum Glück wusste Ella noch, was zu tun war. Kinder bekamen öfter hohes Fieber und Cathy war da keine Ausnahme gewesen. Sie musste den Hitzestau beseitigen und seinen Körper abkühlen, notfalls mit kalten Wickeln. »Kommen Sie«, sagte sie, »ich werde Sie unter das Fenster legen. Dort ist es am kühlsten. Und dann werde ich Ihnen diese Thermojacke ausziehen. Wir hätten Sie gleich von diesem unbequemen Ding befreien sollen.« Sie zog und zerrte an ihm, bis er unter dem Fenster lag. Kein leichtes Unterfangen bei seinem Gewicht. So dürr der Mann auch war, er wog gut und gern neunzig Kilo. Während sie sich mit ihm abrackerte, faselte er unentwegt wirres Zeug. Das meiste verstand sie nicht, es klang nach einer unbekannten Sprache, aber es gab ein Wort, das er immer und immer wieder wiederholte. Sie musste ganz genau hinhören, um es zu verstehen, aber nach dem dritten Mal war sie sich sicher. Es lautete
Ticken
.
»Ticken? Was meinen Sie damit, Professor«, fragte sie, während sie ihn gegen die Holzwand lehnte und begann, ihm seine Jacke auszuziehen.
»Das Ticken …«, brabbelte er, »es beginnt mit einem Ticken … im Meer wird es anfangen … danach weitet es sich aus … erst vereinzelt, dann flächendeckend, über den gesamten Planeten … kräftig, synchron und unaufhaltsam … niemand ahnt, was es ist … niemand kann sich vorstellen, was es bewirkt … und das ist gut so … so soll es bleiben … wüssten sie es, sie würden schreien vor Angst.«
»Jetzt hören Sie aber auf«, sagte Ella, während sie ihm den Pullover auszog. »Bei Ihrer Art zu reden kann man es ja mit der Angst zu tun bekommen. Sie sind nur ein bisschen überhitzt, das ist alles. Nur noch einen kleinen Moment, dann geht es Ihnen wieder besser. Notfalls habe ich noch etwas Chinin in der Arzneitasche. Wenn alles nicht hilft, damit klappt es bestimmt.« Unvermittelt tauchte der Wolf neben ihr auf. Es gelang ihr gerade noch, einen Schrei zu unterdrücken. »Bist du wahnsinnig, mich so zu erschrecken?«, zischte sie. »Was sind denn das für Manieren, sich einfach so anzuschleichen?« Sie legte ihre Hand auf sein weiches Fell und begann ihn hinter den Ohren zu kraulen. »Wie war noch mal dein Name? Ah ja, Lajka.« Sie lächelte. »Also, Lajka, damit das klar ist, nicht mehr anschleichen, okay? Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen. Jetzt hilf mir mal, den Professor weiter auszuziehen.« Natürlich erwartete sie nicht wirklich Hilfe. Sie redete einfach leise vor sich hin, um ihre Nervosität und ihre Besorgnis in den Griff zu bekommen. Womit sie aber überhaupt nicht gerechnet hatte, war der Wolf, der auf einmal zu knurren begann. Er zog die Schnauze in Falten und bleckte die Zähne. »Was ist denn los? Was regst du dich denn so auf?«, fragte sie, während sie versuchte, dem Professor den Pullover über den Kopf zu ziehen. Sein Unterhemd rutschte hoch und ließ sie einen kurzen Blick auf seinen Oberkörper werfen. Das Mondlicht fiel auf seine Haut, und für einen kurzen Moment glaubte sie, etwas gesehen zu haben. Ein seltsames Muster, das vom Bauchnabel aufwärts in Richtung Brust wanderte.
Der Wolf knurrte erneut, diesmal nachdrücklicher. Er senkte den Kopf und klemmte den Schwanz zwischen die Hinterbeine. Ella wusste genug über das Verhalten von Tieren, um zu erkennen, dass er vor irgendetwas Angst
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