Magma
randvoll ein, schob Ella ein Glas zu und hob seines zum Gruß.
»Nastorovje.«
»Nastorovje.« Ella beobachtete, wie er den Wodka mit einem Schluck austrank. »Gott steh mir bei«, murmelte sie und tat es ihm gleich. Die Flüssigkeit bahnte sich ihren Weg bis zum Magen und entfachte dort ein wärmendes Feuer. Ella hob erstaunt die Augenbrauen. Wenn sie gedacht hatte, in einer solch armseligen Hütte nur minderwertigen Fusel serviert zu bekommen, so sah sie sich getäuscht. Der Wodka war erstklassig. Um ehrlich zu sein, hatte sie noch niemals einen besseren getrunken.
»Spassíba«,
sagte sie und lächelte ihren Gastgeber an. »Er ist sehr gut.«
»Njesaschta.«
Der Jäger nickte zufrieden. Dann goss er den Rest der Flasche in ihr Glas. Ella schüttelte den Kopf. »Jetzt haben Sie Ihren letzten Wodka geopfert. Das kann ich unmöglich annehmen. Bitte nehmen Sie meinen. Ich vertrage sowieso nicht so viel.«
Das Grinsen auf seinem Gesicht wirkte irritierend. Als er aufstand und sie zu sich in seinen Vorratsraum winkte, befiel Ella eine ungute Vorahnung. Es dauerte eine Weile, ehe sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Doch als sie einzelne Formen in der Dunkelheit ausmachen konnte, entdeckte sie zwischen Konservendosen, ganzen getrockneten Schinken und Kartoffelsäcken mindestens zwanzig verdächtig aussehende Flaschen, jede mit demselben markanten Etikett. Ihre Hoffnungen schwanden. »Oh mein …«
Das Lächeln des Jägers wurde noch breiter. »Greifen Sie zu. Ich habe mehr als genug.«
Ella hob lachend die Hände. »In Ordnung, Alexej, ich gebe mich geschlagen. Das ist genug Alkohol, um zehn russische Winter zu überstehen. Mein Bedarf ist gedeckt. Wenn Sie mich betrunken machen wollen, muss ich Sie warnen. Ich kann äußerst mitteilsam werden, wenn ich zu viel getrunken habe.«
Der Jäger runzelte die Stirn. »Was ist das …
mitteilsam?
Ich kenne dieses Wort nicht.«
»Geschwätzig. Schlimmer als eine Babuschka auf einem Markt. Wenn ich einmal in Fahrt bin, höre ich so bald nicht wieder auf. Glauben Sie mir, das wollen Sie nicht wirklich erleben.«
Alexej ließ ein dröhnendes Lachen hören und verriegelte die Tür. »Die Schwägerin meiner Mutter war Marktfrau auf einem Gemüsemarkt. Sie war ein gemeines Biest. Hat uns Kinder oft verprügelt. Ich habe Ihre Warnung verstanden. Wenn Sie noch einen Schluck wollen, bedienen Sie sich einfach.« Er wandte sich wieder dem Kaninchen zu. Das Tier hatte in der Zwischenzeit eine herrlich dunkelbraune Kruste bekommen. Es roch besser als erwartet.
»Wo haben Sie eigentlich unsere Sprache gelernt, Alexej?«, fragte Ella, an einem Stück Pirogge nagend, das in einer geflochtenen Schale auf dem Tisch stand. Dass es alt und trocken war und die Füllung nach einer Mischung aus Pilzmehl und Sägespänen schmeckte, störte sie nicht im Geringsten. Hauptsache, etwas zu essen.
»Ich habe viele Jahre beim Bau von Pipelines gearbeitet. Hauptsächlich für ausländische Firmen. Dort ließ sich in den neunziger Jahren, nach der Perestroika, gutes Geld verdienen. Dort wurde Englisch gesprochen. Wer das nicht konnte, flog. Also habe ich ein paar Kurse besucht und mir Bücher gekauft«, er wies auf das windschiefe Regal, in dem einige zerfledderte Schulbücher standen. »Hab dann aber irgendwann aufgehört.«
»Warum?«
»Ich habe einen Mann getötet.« Er griff ebenfalls nach der Pirogge. »Danach hatte ich die Wahl; entweder ins Gefängnis oder untertauchen. Und glauben Sie mir, die Geschichten, die Sie über sibirische Gefängnisse gehört haben, reichen nicht mal annährend an die Wirklichkeit heran. Es ist die Hölle. Abgesehen davon gefällt mir das Leben in der Einsamkeit. Die frische Luft, die Weite des Himmels, meine Freundin Lajka an meiner Seite.« Er deutete auf den Wolf, der seine Mahlzeit beendet und sich wohlig eingerollt hatte. »Ich möchte dieses Leben um nichts in der Welt missen.«
»Sie haben jemanden umgebracht?« Ellas Gedanken kreisten immer noch um dieses eine Wort.
»Er hatte es verdient.« Alexej holte den Spieß aus dem Feuer und legte den Braten auf ein großes Holzbrett. »Sein Name war Boris. Hat als Spitzel für die russische Mafia gearbeitet. Sie wissen schon, Erpressung von Schutzgeld und der ganze Mist.« Er zog sein Jagdmesser heraus und trennte den Hinterlauf mit einem gekonnten Schnitt ab. Dann legte er das Fleisch auf Ellas Teller. »
Kuschajti nasdarow’je
. Fangen Sie an, ehe es kalt wird. Ich will Sie wirklich nicht mit
Weitere Kostenlose Bücher