Magma
nicht stimmte. Er schien auf eine besondere Art und Weise mit der Kugel in Verbindung zu stehen. Das genau war auch der Grund gewesen, warum Elias den Plan, Martin an der Tauchexpedition teilnehmen zu lassen, so missbilligt hatte. Er fühlte, nein, er
wusste
, dass von Martin eine Bedrohung ausging. Eine Bedrohung, die weit über das hinausging, was ein gesunder Menschenverstand sich auszudenken vermochte. Martin musste verschwinden, egal wie. Und mit ihm diese amerikanische Geologin. Ihr Pech, dass sie seine Drohung am Telefon nicht ernst genommen hatte. Mittlerweile steckte sie zu weit in der Sache drin, um unbeschadet davonzukommen.
Elias Weizmann schob die Tasse mit dem erkalteten Kaffee von sich. Ein Plan begann in ihm zu reifen. Er fühlte, dass er jetzt etwas Stärkeres brauchte als Koffein. Etwas, das seinen Geist beflügelte und ihm die Kraft gab, die bevorstehende Aufgabe zu bewältigen. Mit zitternden Händen griff er nach dem Heroinbesteck, das frisch gereinigt und ordentlich ausgelegt auf seine Bestimmung wartete.
Seine Augen begannen zu leuchten.
Ella eilte vorwärts, so schnell sie ihre Füße trugen. Sie strauchelte, fiel zu Boden, stand wieder auf und lief weiter. Ihre Lunge brannte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Die Luft war erfüllt von Schwefeldünsten, die das Atmen beschwerlich machten. Ein warmer Wind wehte von Westen her, der die oberste Schneeschicht antaute und Ella immer wieder bis zu den Knien einsinken ließ. Der Horizont stand in Flammen. Es sah aus, als habe sich eine leuchtende Kugel in den Himmel erhoben. Die Dunkelheit der Nacht war einem infernalischen Glühen gewichen. Und mit jedem Schritt nahm die Hitze zu.
Ella riskierte einen kurzen Blick nach hinten. Der Jäger und sein Wolf folgten ihr in einiger Entfernung. Von Konrad Martin war keine Spur zu sehen. Ella spürte den Anflug von Erleichterung. Ihr graute bei dem Gedanken an ihn. Doch was genau hatte sie eigentlich gesehen? Litt der Professor unter einer Krankheit? Wenn ja, dann unter einer, von der Ella noch nie gehört hatte. Immer wieder musste sie an den Anblick denken, als sie sein Hemd hochgezogen hatte. Diese Deformation, dieses schreckliche Muster auf seiner Haut – und wie es sich
bewegt
hatte. Sie hörte noch den Nachhall ihrer eigenen Worte: Wer sind Sie?
Was
sind Sie? Für einen Moment hatte sie geglaubt, etwas anderes als Konrad Martin vor sich zu sehen. Etwas Kaltes und unendlich Fremdes. Dann wieder rief sie sich zur Besinnung und versuchte sich einzureden, dass sie sich das alles nur einbildete. So, wie sie das nach der Tauchfahrt der
Shinkai
getan hatte. Die Vorstellung, das alles beruhe nur auf Übermüdung und Sinnestäuschung, hatte etwas Verlockendes. Doch was sie damals geschafft hatte, gelang ihr diesmal nicht. Was sie und der Fallensteller gesehen hatten, war die Wirklichkeit. Wenn sie an Alexej dachte, wurde ihr bewusst,
wie wirklich
es war. Dieser Mann hatte Dinge erlebt, die an Härte und Grausamkeit kaum zu überbieten waren. Er lebte hier in der Einsamkeit, unter den extremsten Umständen, nur mit einem Wolf an seiner Seite. Was konnte einen solchen Mann schon aus der Bahn werfen? Eine Krankheit oder schwere Verletzung sicher nicht. Und doch hatte sie den Wahnsinn in seinen Augen gesehen. Seinen irrlichternden Blick. Sie spürte, dass auch er an seine psychischen Grenzen gelangt war. Eine Halluzination? Sie musste aufhören, sich etwas vorzumachen. Was sie hier erlebten, war real. Genauso real wie das Ereignis an Bord der
Shinkai
.
Das Entsetzen trieb sie weiter. Die Zeit verging wie im Fluge. Nicht lange und sie hatte die Anhöhe oberhalb der Straße erreicht. Der Schnee war an manchen Stellen bereits vollständig weggetaut. Einzelne trockene Grasbüschel wiegten sich träge im heißen Luftstrom. Als sie den höchsten Punkt erreicht hatte, blickte sie in die Senke, in der der See gelegen hatte. Nur, dass da jetzt kein See mehr war. Jedenfalls keiner, der aus Wasser bestünde. In einiger Entfernung, dort wo die Biwaks von VEKTOR gestanden hatten, war ein Riss in der Erde, eine feurige Spalte. Flüssiges Gestein schoss in die Luft, erkaltete und klatschte wieder zu Boden. Ein unheilvolles Donnern und Brodeln begleitete den Lavastrom, der sich langsam, aber sicher zu einem Kegel aufhäufte. Überall lagen Lavabomben herum, fußballgroße Gesteinsbrocken, die der Vulkan beim Aufreißen der Erdkruste in die Luft geschleudert hatte. Ella hatte schon viel gesehen, aber noch niemals die
Weitere Kostenlose Bücher