Magma
kaum einen anderen Schluss zu. Weizmann war ein Vollblutwissenschaftler, einer von der Sorte, die jederzeit bereit waren, ihr eigenes Wohl dem Dienste der Wissenschaft unterzuordnen. Eine aussterbende Spezies.
Er schob das Gestell wieder auf die Nase und sagte in gespieltem Tadel: »Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, dass Sie mich nicht so nennen sollen?«
»Wir haben Sie bereits vor einer halben Stunde erwartet«, sagte Colin, ohne auf den Einwand einzugehen. »Helène sagte mir, dass ich hier auf Sie warten soll. Hatten Sie Schwierigkeiten bei der Anfahrt?«
»Schwierigkeiten ist gar kein Ausdruck«, schimpfte der Professor. »Da draußen tobt ein gottverdammter Orkan. Nicht mal meinen ärgsten Feind würde ich bei diesem Wetter vor die Tür schicken.«
»In den oberen Labors spürt man, wie die Wände zittern, so heftig peitscht der Wind um die Felsen«, bestätigte Colin. »Aber Helène hätte Sie nicht kommen lassen, wenn es nicht wichtig wäre.«
»Das will ich hoffen. Trotzdem kann ich von Glück sagen, dass ich heil hier oben angekommen bin.« Er wischte sich die letzten Wassertropfen aus dem Bart. Als wissenschaftlicher Leiter der Abteilung Radiologie gehörte er zum Führungsstab dieser Einrichtung und war verpflichtet, sich bei jedweder Unregelmäßigkeit in den Versuchsreihen persönlich einzufinden, egal bei welchem Wetter.
»Also, schießen Sie los. Was in aller Welt ist geschehen, dass Sie mich an meinem freien Tag in aller Herrgottsfrühe aus den Federn holen?«
Colin zuckte die Schultern. »Höchste Sicherheitsstufe. Helène ist der Meinung, dass Sie es unbedingt mit eigenen Augen sehen müssen.«
Der Professor spürte ein unangenehmes Gefühl in sich aufwallen. Ein fernes Geräusch wie eine innere Alarmglocke drang in sein Bewusstsein und ließ sich nicht abschalten. »Na schön«, sagte er. »Aber umziehen werde ich mich ja wohl noch dürfen. Auf die paar Minuten mehr oder weniger kommt es sicher nicht an.«
Sein Assistent lächelte gequält. »Sie kennen doch Helène.«
»Auch wieder wahr«, stimmte Weizmann zu. »Aber mit diesen nassen Klamotten kann ich das Labor auf keinen Fall betreten. Nicht, wenn ich nicht als lebender Blitzableiter enden möchte. Das wird selbst unsere Chefin einsehen müssen. Also kommen Sie, Colin, lassen Sie uns nicht noch mehr Zeit verlieren.«
Wenige Minuten später hatten sie die grauen Kunststofftüren der Umkleidekabinen erreicht. Weizmann drehte sich kurz um. »Sie warten hier auf mich. Ich werde mich beeilen.«
Colin nickte. »Ich werde uns in der Zwischenzeit ein
Elmo
besorgen. Damit könnten wir die verlorene Zeit wieder einholen.«
»Guter Gedanke«, sagte der Professor und verschwand.
Fünf Minuten später war er fertig umgezogen. In seinem grauen Arbeitskittel sah er nun aus wie jede andere Termite in diesem Bau. Nur das mit hellgrünem Kunststoff unterlegte Namensschild verriet seine führende Position. Colin wartete bereits auf ihn, ein triumphierendes Lächeln auf dem Gesicht. Er saß hinter dem Lenkrad eines
Electric-Mobile
, wie sie zu Dutzenden auf den Gängen und zwischen den einzelnen Stockwerken hin und her patrouillierten.
»Schwingen Sie sich an Bord, Herr Oberst«, rief er ihm zu. »Ich garantiere für eine sichere, schnelle und vor allem trockene Fahrt.«
»Klingt verlockend«, gestand der Radiologe, als er, seine Aktentasche an den Körper gepresst, das Fahrzeug bestieg. Kaum, dass er sich angeschnallt hatte, trat Filmore bereits aufs Gas und fuhr in beängstigendem Tempo hinab in die Eingeweide des Berges.
Für Elias Weizmann war die Fahrt durch das Forschungszentrum noch immer ein zwiespältiges Erlebnis. Und das, obwohl er bereits seit annährend dreißig Jahren in den
Kowarski-Labors
tätig war. Mehr noch: Er hatte geholfen, das alles hier mit aufzubauen. Ein großer Teil von ihm steckte in dieser Einrichtung. Doch außerhalb des Berges wusste kaum ein Mensch, was sie hier taten, kaum einer war sich darüber im Klaren, dass es sie überhaupt gab. Die Forschungseinrichtung war weltweit einzigartig. Ihre Existenz wurde von den Regierungen Großbritanniens, Frankreichs, Israels, Kanadas und natürlich der Schweiz, die das gewaltige Unternehmen finanzierten, geheim gehalten. Was man zu Gesicht bekam, wenn man durch die Gänge fuhr, war nur ein winziger Teil des Ganzen. Der Berg war das Zentrum eines kilometerlangen Netzwerks aus Tunneln und Stollen, die labyrinthartig eine Fläche von mehreren Quadratkilometern durchzogen.
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