Magma
Mitarbeiter des ONR ein knappes Nicken.
Ella ließ sich zurücksinken. Esteban hatte natürlich Recht, den Streit zu beenden, aber warum stellte er sich so demonstrativ auf die Seite des Professors? Was zum Teufel spielte er für ein Spiel?
Sie ließ sich noch einmal Wein nachschenken, dann wandte sie sich erneut an Martin. Diesmal zwang sie sich zur Ruhe. »Die Ausschläge auf der Richterskala sind wirklich bemerkenswert, finden Sie nicht?«
»In der Tat«, entgegnete der Geologe, einen Brotkrumen von der Tischdecke schnippend.
»Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an diesem Fall? Was genau hat Ihr Interesse geweckt, als Sie die Werte zum ersten Mal gesehen haben?«
Professor Martins ausgestreckte Hand griff nach dem Wasserglas. Es sah beinahe so aus, als würden Haut und Glas miteinander verschmelzen. »Beim Marianengraben handelt es sich um eine Verschiebungszone …«, begann er, und klang dabei, als zitiere er aus einem Lexikon. Seine Stimme hatte dabei einen so überheblichen Klang, dass Ella im Geiste all die armen Studenten bedauerte, die sich jemals in seine Vorlesung verirrt hatten.
»… genau genommen um den Bereich, in dem die pazifische Platte unter die asiatische driftet. Weil die Platten aber nicht gleichmäßig übereinandergleiten, sondern sich ruckartig verschieben, kommt es immer wieder zu Erdbeben.«
»Diese Fakten sind sicher allen hier am Tisch bekannt«, sagte Ella. »Ich wollte nur wissen …«
»Ist Ihnen schon aufgefallen, dass Sie mir fortwährend ins Wort fallen?«, fuhr der Professor sie an. »Vielleicht ist das in Ihrem Land so üblich, bei uns hingegen lässt man seine Kollegen aussprechen, Frauenwahlrecht hin oder her.«
Ella hob entschuldigend die Hände. Die Szene begann immer skurriler zu werden.
»Entlang der Verschiebungszone entstehen durch Reibung die so genannten Hotspots«, fuhr der Professor mit größter Ernsthaftigkeit fort, »… energiereiche Kammern, die sich ausdehnen und ihren flüssigen Magmakern durch Ritzen und Spalten an die Oberfläche drücken. Dort, wo die Lava zutage tritt, bilden sich Vulkane. Die japanischen Inseln liegen genau oberhalb eines solchen Hotspots, daher die rege Vulkantätigkeit. Exakt damit haben wir es auch hier zu tun. Das ist meine Meinung.«
Ella sah ihn verblüfft an. Das war’s? Mehr hatte er nicht zu sagen?
Für einige Sekunden wurde es still am Tisch.
Esteban bemühte sich um ein Pokerface, doch es misslang. Ella konnte ihm ansehen, dass er genauso ratlos war wie sie. Was der hochdekorierte Professor da eben zum Besten gegeben hatte, war Basiswissen, noch dazu nicht mal besonders gut erklärt. Was aber noch schwerer wog, war die Tatsache, dass er den Begriff
Hotspot
völlig falsch verwendet hatte. Denn das Besondere an diesen radioaktiv aufgeheizten Magmakammern war eben nicht, dass sie sich in der Nähe von Subduktionszonen befanden, sondern mitten unter den kontinentalen Platten lagen. Der Hotspot unterhalb von Hawaii mochte dafür ein gutes Beispiel sein. Die Theorie dazu war schon über vierzig Jahre alt und stand in jedem Lehrbuch. Nur der hochdekorierte Geologe schien davon noch nichts mitbekommen zu haben.
»Darf ich jetzt sprechen?« Ihre Stimme triefte vor Ironie.
»Ich bin fertig.«
»Das haben Sie sehr interessant erklärt«, sagte sie. »Besonders den Teil über die Hotspots. Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Was sagen Sie zu den seismischen Bewegungen im Marianengraben? Sind diese Erschütterungen nicht ganz und gar einzigartig?« Sie wartete noch eine Weile, dann fügte sie hinzu: »Die Besonderheiten müssten Ihnen doch aufgefallen sein.«
Professor Martin erhob sich leicht aus seinem Stuhl. Die Augen hinter seiner Brille bekamen einen kalten metallischen Glanz. »Natürlich sind sie mir aufgefallen. Warum?«
»Ich frage Sie nur nach Ihrer fachlichen Meinung.«
»Die habe ich Ihnen doch soeben mitgeteilt.«
»Was Sie uns da eben erzählt haben, war, mit Verlaub,
bullshit
.« Sie nahm noch einen großen Schluck Wein. »Ich würde Ihnen empfehlen, sich mal mit der aktuellen Terminologie auseinanderzusetzen, ehe Sie mit einem Begriff wie Hotspot leichtfertig um sich werfen.«
»Wie können Sie es wagen …?«
»Ich wage es, weil ich Sie davor bewahren möchte, sich in Interviews zum Narren zu machen.« Ella warf ihm ein grimmiges Lächeln zu. »Hier, in unserer kleinen Runde bleibt alles unter uns. Wenn Sie aber damit vor die Öffentlichkeit treten möchten, ist das etwas anderes.
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