Magma
Rucksäcke und Jacken wurden ihnen abgenommen, dann tastete Yamagata auch sie ab. »Alles in Ordnung«, sagte er. »Das wäre geschafft. Folgen Sie mir bitte.« Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er in Richtung Achterdeck, dorthin, wo der Lärm der Maschinen immer lauter wurde. Das Schiff vollführte schwere Rollbewegungen in der kabbeligen See. Es roch nach Dieseltreibstoff und Salzwasser. Die Luft war stickig und schwül. Ella spürte, wie ihr übel wurde. Mehr als einmal musste sie die Hände zu Hilfe nehmen, um nicht gegen die eisernen Wände geschleudert zu werden. Ihr nervöser Magen quittierte jede unkontrollierte Bewegung mit dumpfem Grollen. Esteban, der ihr Unbehagen bemerkte, bot ihr etwas an, das wie ein Pfefferminzbonbon aussah. »Hier«, sagte er. »Nehmen Sie. Es hilft gegen Seekrankheit. Kauen Sie es langsam. Hier sind noch ein paar. Nicht zu viele auf einmal, Sie bekommen sonst Durchfall davon.« Er bot auch Martin seine Kautabletten an, der lehnte jedoch ab. Ella lächelte dankbar, während sie eines der Bonbons in den Mund steckte. Die Wirkung setzte schnell ein. Binnen weniger Augenblicke war die Übelkeit verschwunden.
Immer tiefer führte Yamagata sie in den Schiffsbauch. Die Minuten zogen sich quälend in die Länge, doch schließlich erreichten sie ihr Ziel. Der Kommandant öffnete eine schwere Tür, die mit einem Handrad gesichert war, und winkte sie hindurch. Einer nach dem anderen schlüpften sie durch den engen Durchgang und blickten sich staunend um.
Die Ladeluke war riesig. An die fünfzehn Meter hoch mit mindestens dreißig Metern Seitenlänge. Das hintere Schott war weit geöffnet. Ein Schwall frischer Seeluft, vermischt mit Regen, peitschte herein. Als Ella das Tauchfahrzeug erblickte, hielt sie vor Ehrfurcht den Atem an. Von hier unten aus betrachtet wirkte die
Shinkai
noch imposanter als aus der Perspektive des Hubschraubers. Der Bootsrumpf und der Einstiegsturm ragten hoch auf in den sturmgepeitschten Himmel, dessen Farbe mittlerweile einen bedrohlichen Grünstich angenommen hatte. Der Wind pfiff ihnen um die Ohren, heulte um die Metallseile und rüttelte an allem, was nicht festgezurrt war. Wie ein bockiges Pferd zerrte die
Shinkai
an ihren stählernen Halteseilen. Ella verstand, warum ihr Expeditionsleiter so zum Aufbruch drängte. Irgendwann würden die Taue das Gewicht des Tauchbootes nicht mehr halten können. Was dieser tonnenschwere Koloss anrichtete, wenn er sich losriss, darüber wagte Ella kaum zu spekulieren.
Yamagata schloss die Tür hinter sich und eilte an ihnen vorbei. Mit eingezogenen Köpfen folgten ihm Ella und ihre Begleiter, vorbei an den beiden Lastkränen und den Männern in den orangefarbenen Overalls, deren Gesichter unter den hochgeschlagenen Kapuzen nicht zu erkennen waren. Immer noch goss es wie aus Kübeln, und die Männer hatten schwer zu kämpfen. Ella beneidete sie aber insgeheim um ihre wetterfeste Kleidung. Schwerer Donner rollte über ihre Köpfe und vermischte sich mit dem Tosen der Wellen, die unaufhörlich gegen die Flanken der
Yokosuka
schlugen, zu einem infernalischen Getöse. Die
Shinkai
schwankte und schlingerte, und sie hatten Mühe, die Eisenleiter zu erreichen, die zum Turm der
Shinkai
hinaufführte. Ella musste aufpassen, um nicht von den glitschigen Sprossen der schmalen Eisenleiter abzurutschen. Stück für Stück arbeitete sie sich aufwärts. Nur noch wenige Stufen, dann war sie oben. Yamagata, der die Luke bereits geöffnet hatte, winkte sie ungeduldig heran. »Gehen Sie schon mal voran«, rief er ihnen zu, »mein Funker und mein Copilot werden Sie unten in Empfang nehmen und Ihnen Ihre Plätze zuweisen. Ich muss noch auf das Eintreffen der Sicherheitsoffiziere warten. Ah, ich glaube, da kommen sie …«
Während Konrad Martin sich schon auf dem Weg nach unten befand, spähte Ella in den Sturm hinaus. Sie sah, wie die zwei Männer mit ihrem Gepäck unter den Armen auf sie zugerannt kamen. Der vorderste gab Yamagata mit hochgerecktem Daumen zu verstehen, dass alles in Ordnung war. Dann begann er, die Leiter zum Turm heraufzuklettern.
Für einen kurzen Moment fühlte sie sich erleichtert. Wenn die Sicherheitsspezialisten nichts gefunden hatten, dann war die anonyme Warnung vielleicht doch nur ein geschmackloser Scherz gewesen. Andererseits – der Anrufer hatte Dinge gewusst, die kaum jemandem bekannt waren. Was sollte sie jetzt machen? Noch konnte sie es sich überlegen. Dies war ihre letzte Gelegenheit zur Umkehr.
Sie
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