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Magma

Magma

Titel: Magma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Schrottpresse. In diesem Augenblick geschah etwas Seltsames.
    Konrad Martin, der bisher geradezu apathisch gewirkt hatte, als litte er immer noch unter den Folgen seiner Bewusstlosigkeit, sprang auf und eilte zu dem tödlichen Riss. Er tat dies mit einer Energie und Schnelligkeit, die Ella ihm niemals zugetraut hätte. Zuerst dachte sie, er habe ebenfalls einen Stromschlag erhalten. Doch im Aufblitzen eines neuerlichen Funkenregens sah sie, dass sie sich getäuscht hatte. Die Hände gegen den Spalt pressend und mit einem Gesicht, das in seiner Entschlossenheit erschreckend wirkte, stand er da, in einer Geste höchster Anspannung. Er wirkte wie versteinert. Dann wurde es dunkel. Ella dachte noch, welch seltsamer Gedanke ihn wohl glauben ließ, er könne den Riss mit bloßen Händen schließen, da wurde der Innenraum durch eine erneute elektrische Entladung erhellt. Mit schreckgeweiteten Augen sah sie, dass aus Martins Fingern flechtenartige Gebilde wuchsen. Wie ein Netzwerk von Drähten oder Adern schossen sie aus seinen Fingern und ergossen sich über das blanke Metall. So absurd der Gedanke auch war, aber Martins Hände schienen mit der stählernen Wand der
Shinkai
zu verschmelzen. Er schien eins zu werden mit dem Metall. Seine Hände nahmen sogar dieselbe stumpfgraue Farbe an. Wellen rasten über seine Haut und gaben ihr die Farbe von Quecksilber. Ella spürte einen Schrei in sich aufsteigen, doch dann wurde es wieder dunkel. Diesmal empfand sie die Finsternis als Gnade. »Das war nur eine Halluzination, nur eine Halluzination«, murmelte sie. Den Kopf gegen ihre Knie gepresst, wippte sie in Trance vor und zurück. »Ich habe mir das nur eingebildet. Es ist ein Traum, nur ein böser Traum. Geht sicher bald vorbei. Nur ein Traum, nur ein Traum.«
    Das Licht kehrte nicht zurück. Mit einem jammervollen Laut erstarben die Heckrotoren. Die Batterien hatten sich vollständig entleert. Die Crew war gefangen in einem stählernen Sarg, umgeben von den kalten Fluten des Pazifiks. Undurchdringliche, immerwährende Finsternis umgab sie. Noch enger umklammerte Ella ihre Beine, während sie das Bild abzuschütteln versuchte, das sich auf ihrer Netzhaut eingebrannt hatte.
    Das Bild von dem kleiner und kleiner werdenden Wasserstrahl, der schließlich versiegt war. Das Bild von dem Riss in der Außenhülle, der sich wie von Geisterhand geschlossen hatte.

22
    K azumari Myagoshi, der Erste Offizier der
Yokosuka
, ein stämmiger, untersetzter Mann Mitte dreißig, war der Erste, der die
Shinkai
auf seinem Monitor erblickte. Das Sonar zeigte eine Tiefe von fünfhundert Metern an, rasch aufsteigend. Er drückte einen Knopf auf seiner Telefonanlage und kontaktierte den Kapitän, der zu dieser frühen Stunde noch in seiner Kabine war. Toshio Fumitsu von der kaiserlichen Marine war sofort am Apparat und nahm die Meldung mit gewohntem Gleichmut zur Kenntnis. Die Tatsache, dass die
Shinkai
offenbar einen Notstart hingelegt hatte und lange vor dem anvisierten Termin auftauchen würde, schien ihn nicht aus der Ruhe bringen zu können. Seine Anweisungen waren klar und präzise. Die Mannschaft in Alarmbereitschaft versetzen, versuchen, mit dem Tauchboot Funkkontakt herzustellen, und die Bergungsspezialisten auf den Ladekränen für ein Rettungsmanöver vorbereiten. Der Kapitän selbst würde in etwa einer Viertelstunde auf der Brücke erscheinen und legte seine Geschäfte so lange in die Hände seines ersten Offiziers. Myagoshi, der sich der großen Ehre und des Vertrauens, das der Kapitän in ihn setzte, bewusst war, begann sogleich damit, die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Draußen tobte noch immer das Unwetter. An das Aussetzen von Rettungsbooten war nicht zu denken. Auch eine Bergung schied unter diesen Bedingungen aus. Sie würden also versuchen, das U-Boot an den Haken zu legen, die Mannschaft sicher an Bord zu schaffen und auf ruhigeres Wetter zu warten. Selbst das würde bei einem Wellengang von mehreren Metern kein Kinderspiel werden. Myagoshi war in der Kriegsmarine ausgebildet worden. Er hatte schon mehrere Male bei Bergungsaktionen unter schwierigen Bedingungen mitgewirkt. Was die Situation knifflig machte, war die Tatsache, dass ihnen keinerlei Informationen vorlagen. Sie wussten weder, wie es der Mannschaft im U-Boot ging, noch ahnten sie, was dort unten eigentlich vorgefallen war. Der Funkkontakt war vor ungefähr zehn Stunden abgerissen. Seitdem war kein Sterbenswörtchen zu ihnen gedrungen. Ein verdammt langer Zeitraum.

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