Magma
Privaträume sahen aus, als wäre ein Sturm hindurchgefegt. Überall lagen Zettel auf dem Boden, Notizen, die mit fahriger Hand aufs Papier gekritzelt, durchgestrichen und achtlos weggeworfen worden waren. Umgekippte Kaffeetassen, deren schwarzer Bodensatz sich zum Teil über die Zettel ergossen und sie zu einem untrennbaren Papierwust verklebt hatte, zeugten davon, dass es eine lange Nacht gewesen war.
Weizmann strich nervös durch seinen Bart. Weder hatte sein Anruf die amerikanische Geologin davon abbringen können, sich diesem Himmelfahrtskommando anzuschließen, noch hatte er bisher irgendwelche Informationen über den Fortgang der Tauchfahrt erhalten.
Der Kontakt zur
Shinkai
war vor über fünf Stunden abgerissen. Seitdem herrschte Schweigen. Weizmann wusste, dass es sich um das Funkloch handeln musste, das durch die starken magnetischen Felder hervorgerufen wurde. Beruhigen konnte ihn das in keiner Weise. Er brauchte die Computerauswertungen von der
Shinkai,
und zwar schnell. Sollte der Kommandant des Tauchbootes in der Lage sein, die Daten an das Mutterschiff, die
Yokosuka
, abzuschicken, ehe Weizmann sie abfangen konnte, würde das Verhängnis seinen Lauf nehmen. Die Informationen durften nicht in falsche Hände geraten. Das war es, wovon alles abhing.
Fünf Stunden. Eine unvorstellbar lange Zeit, wenn man wie auf Nadeln saß. Waren es wirklich nur magnetische Felder, hervorgerufen durch seismische Aktivitäten, die das Funkloch verursachten, oder hatten diese Verrückten womöglich etwas aufgeschreckt? Er blickte zum wiederholten Male auf die Diagramme, die Helène ihm gegeben hatte. Dieses leise, gleichförmige Pulsieren. Drei Komma sechs auf der Richterskala. Ein Zeitintervall von zwei Stunden und achtundvierzig Minuten. Fast wie das ruhige Atmen eines schlafenden Riesen.
Weizmann schrak auf. Etwas tat sich auf dem Monitor. Erst ein schwaches Rauschen, dann ein verzerrtes Bild.
Sie kamen zurück.
Ella erwachte aus tiefer Bewusstlosigkeit. Ein unangenehmer Druck lastete auf ihrer Brust, und das Atmen fiel ihr schwer. Die Luft in der Druckkammer war zum Schneiden dick. Den Kopf noch immer voll von glühenden Zeichen und Symbolen, richtete sie sich auf und versuchte, sich zu orientieren. Das rote, funzelige Licht der Notbeleuchtung tauchte das Innere der Kugel in ein angsterfülltes Zwielicht. Es dauerte eine Weile, bis ihre Augen sich daran gewöhnt hatten, doch dann erkannte sie, dass Yamagata und zumindest einer seiner Assistenten ebenfalls erwacht waren und wie gebannt auf den Statusmonitor des Tauchbootes starrten. Sie beugte sich hinüber, um nach ihren Kollegen zu sehen. Während sie in Estebans langsamen Bewegungen erste Anzeichen einer Rückkehr ins Bewusstsein vermutete, lag Professor Martin auf dem Rücken und blickte mit weit geöffneten starren Augen unter die Decke.
»Professor?«
Zu ihrer Erleichterung war der Geologe am Leben. Langsam, wie unter dem Einfluss von Drogen, drehte Konrad Martin seinen Kopf zu ihr herüber. Ein schmales Lächeln zeichnete sich auf seinem Mund ab. »Es geht mir gut«, murmelte er, doch seine blasse, wächserne Haut strafte seine Worte Lügen. In diesem Augenblick erwachte auch Esteban aus seiner Ohnmacht. Schwer atmend richtete er sich auf. Er hustete und spuckte auf den Boden. »Ich bekomme kaum Luft«, keuchte er.
»Es ist die Sauerstoffzufuhr«, sagte Yamagata. Sein Gesicht war schweißüberströmt. »Der Regler scheint sich durch die starken Erschütterungen verstellt zu haben. Der Anteil des Kohlendioxids ist auf vier Prozent gestiegen.«
»Warum stellen Sie das alte Verhältnis nicht wieder her?«, keuchte Ella, die spürte, dass sie das Bewusstsein bald wieder verlieren würde.
»Was glauben Sie, was wir hier die ganze Zeit über versuchen?« Yamagata schnaufte wie ein alter Dampfkessel. »Der Regler spricht nicht mehr an. Durch die gewaltigen Kräfte muss sich der Rumpf verzogen haben. Wir versuchen gerade, das Gemisch über die Sekundärversorgung zu regeln, doch es gibt Probleme mit der Elektrik. Vielleicht ist dort Wasser eingedrungen.« Er schüttelte den Kopf, während er auf das Kontrollpaneel über seinem Kopf blickte. Wo man auch hinsah, überall blinkten rote Warnleuchten.
Esteban erhob sich mühsam aus seinem Sitz und wankte zu Yamagata. »Irgendetwas müssen Sie tun, sonst werden wir hier drin jämmerlich verrecken. Wie tief sind wir noch?«
»Etwa viertausend Meter. Bei unserer derzeitigen Geschwindigkeit werden wir in einer
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