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Magma

Magma

Titel: Magma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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wie ein Wasserfall an ihr vorbei in die Tiefe. Ella konnte sich nur mit Mühe festhalten. Panik überkam sie. Unter Aufbietung aller Kräfte kletterte sie das letzte Stück des Tunnels hinauf, bis zur Turmspitze, wo sie von zwei Besatzungsmitgliedern erwartet wurde. Der Wind schlug ihr mit eisiger Kälte ins Gesicht. Im Nu war ihre Müdigkeit verflogen. Was sie sah, ließ sie vor Angst erzittern. Das Meer war eine einzige kochende Hölle. Dunkelgrün ragten die Wellen um sie herum in den grünen Himmel, während Wolkenfetzen über ihren Kopf rasten. Die
Shinkai
war über eine Stahltrosse mit dem Ladekran verbunden, der unter der Last bedenklich ächzte. Wie lange er diesen Kräften gewachsen war, war fraglich. Den Geräuschen nach zu urteilen, die er von sich gab, nicht mehr allzu lange. »Kommen Sie«, rief einer der Matrosen ihr in gebrochenem Englisch zu. »Beeilung.« Er zog an ihrem Arm, und sie folgte ihm bereitwillig. Nur runter von diesem schlingernden Albtraum. Als sie sich über die schmale Eisenbrücke zum Deck der
Yokosuka
hinüberhangelte, sah sie, dass ein zweiter Überlebender auf dem Turm erschien. Es war der Schweizer Geologe. Augenscheinlich ging es ihm gut. Auch er wurde über die schlingernde Brücke eskortiert. Ella erinnerte sich an die Szene, kurz ehe das Licht verloschen war. Diese Fäden, die seinen Fingern entsprossen waren – diese flechtenartigen Gebilde, die den Riss in der Wand wie mit Klebstoff überzogen und dann verschlossen hatten. Blödsinn, schalt sie sich. Einbildung. Eine Halluzination, hervorgerufen durch giftige Dämpfe. Überhaupt konnte sie sich kaum noch an das erinnern, was dort unten vorgefallen war. Ihr Kopf war ein einziges Durcheinander von Bildern, Worten und Geräuschen. So viel hatte sich ereignet. Und immer noch wollte dieser furchtbare Tag kein Ende nehmen. In ebendiesem Moment erschien Kommandant Yamagata auf dem Turm der
Shinkai
. Er war kreidebleich und musste von zwei Leuten gestützt werden. Doch immerhin war er am Leben. Sein Verband am Kopf war verrutscht, und seine Platzwunde hatte wieder angefangen zu bluten. Mit fiebrigen Augen blickte er sich um. Als er das Wüten des Sturms bemerkte, entbrannte eine heftige Diskussion zwischen ihm und einem der Helfer. Er fing an zu schreien und deutete auf die aufgewühlte See. Der Matrose schüttelte den Kopf. Er packte den Kommandanten am Arm und wollte ihn über die Brücke zerren, doch der Wissenschaftler setzte sich zur Wehr. Erst als sich ein zweiter Matrose einmischte und seinem Kollegen zu Hilfe eilte, erlosch der Kampfeswille des Expeditionsleiters. Wie ein Häufchen Elend sackte er zusammen und ließ sich willenlos an Bord der
Yokosuka
schaffen.
    »Was hat er denn bloß?«, fragte Ella den Geologen, der soeben neben ihr eingetroffen war. Konrad Martin hatte gerade einer japanischen Ärztin zu verstehen gegeben, dass er keinen Beistand benötigte. Mit ruhiger Stimme entgegnete er: »Ich glaube, er versucht den Männern zu erklären, dass die
Shinkai
im Begriff ist zu sinken.«
    Ella riss die Augen auf. Er hatte Recht. Jetzt konnte sie erkennen, dass das U-Boot in den letzten Minuten um etwa einen Meter abgesunken war. Die fortwährenden Brecher ließen die Druckkammer langsam, aber sicher volllaufen. Weder die Lufttanks noch die Stahltrossen würden in der Lage sein, den schweren Bootskörper über Wasser zu halten. »Warum schließen sie das Schott denn nicht?«, rief sie entgeistert.
    Martin antwortete: »Haben Sie vergessen, dass sich immer noch Menschen auf dem Schiff befinden? Sie sind möglicherweise so schwer verletzt, dass sie sofort behandelt werden müssen.«
    In diesem Moment wurde ein weiterer Mann nach oben gebracht, an seiner Kopfbedeckung unzweifelhaft als einer von Yamagatas Copiloten zu erkennen. Sein Körper war schlaff. Arme und Beine baumelten leblos an ihm herab und ließen ihn wie eine Puppe aussehen. Augenscheinlich war er ohne Bewusstsein. Zwei Männer trugen ihn über die schmale Brücke und legten seinen Körper auf eine der bereitgestellten Bahren. Sofort war eine der Ärztinnen bei ihm. Dem zweiten Copiloten, der soeben nach oben kam, ging es offenbar besser. Er hatte zwar Schürfwunden und Prellungen, aber wenigstens konnte er auf eigenen Beinen stehen. Humpelnd und fluchend verließ er das U-Boot und kam zu ihnen herüber. Er hockte sich neben seinen Kollegen, der immer noch nicht das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Die Ärztin hatte bereits mit Wiederbelebungsmaßnahmen

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