Magma
begonnen, doch ihr ernster Blick verriet, dass es schlecht um ihn stand. Yamagata kauerte daneben, seine Augen teilnahmslos zu Boden gerichtet. Er schien keine Notiz davon zu nehmen, dass neben ihm einer seiner Kollegen mit dem Tode rang. Nach einer Weile blickte die Ärztin auf und schüttelte den Kopf. Die Rettungsmaßnahmen waren ergebnislos geblieben. Ella wandte sich ab. Sie hatte dem Tod noch nie ins Antlitz sehen können. Ihren Blick wieder auf die
Shinkai
gerichtet, versuchte sie in Erfahrung zu bringen, was dort drüben vor sich ging. Was taten der verbliebene Offizier und der Arzt da unten nur so lange? Warum kamen sie nicht zurück? Hatte es etwas mit Esteban zu tun? Ella hatte immer noch das schreckliche Bild vor Augen, wie er, vom Wasserstrahl getroffen, quer durch den Innenraum geflogen war. Konnte ein Mensch einen solchen Aufprall überleben? Joaquin. Der Name formte sich wie von selbst auf ihren Lippen. Die Augen geschlossen haltend, schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel. Als sie sie wieder öffnete, sah sie eine neue Welle heranbrechen. »Oh mein Gott«, flüsterte sie. Es war die größte, die Ella bisher gesehen hatte.
»Halten Sie sich fest!«, rief Martin ihr gerade noch rechtzeitig zu. Wie eine Lawine donnerte die Woge über die
Shinkai
hinweg. Der orange Turm verschwand in einem Gebrüll von Schaum und Gischt. Ella musste sich mit aller Kraft festhalten, um nicht von Bord gespült zu werden. Ärzte und Matrosen bildeten eine Kette und zogen die Verletzten schützend hinter die Reling. Ella hielt das Eisengeländer gepackt, während sie weiter in den kochenden Albtraum starrte. Als die
Shinkai
wieder auftauchte, hatte sie deutlich Schlagseite.
»Ich glaube, es geht zu Ende«, hörte sie Martin neben sich sagen, und Ella musste ihm im Stillen Recht geben.
Doch in diesem Augenblick tauchte ein Kopf aus der Turmluke empor. Das Gesicht des Mannes war blutüberströmt, beinahe bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
»Esteban!« Ella konnte den Schrei nicht unterdrücken.
Er lebte.
In einer Mischung aus Freude und Verzweiflung eilte sie ihm entgegen.
»Bleiben Sie, wo Sie sind!«, hörte sie Martin hinter sich schreien, doch sie hörte nicht auf ihn. Vergessen waren Enttäuschung und gekränkte Eitelkeit. Joaquin lebte, das war alles, was zählte. Wider besseres Wissen betrat sie erneut die Eisenbrücke. Sie wollte Joaquin nur noch zu sich herüberholen und ihn in ihre Arme schließen.
Der Kubaner war schwer angeschlagen. Mit wankendem Schritt setzte er seinen Fuß auf die eisernen Streben. Sowohl der Arzt als auch der Offizier mussten ihn dabei stützen. Seine Uniform war blutrot. Ella hatte die Brücke schon halb überquert, da sah sie es. Sein rechter Arm fehlte. Er war weg, abgetrennt,
nicht mehr da
. Der notdürftige Verband konnte den blutenden Stumpf darunter kaum verbergen. Als Esteban sie erblickte, ging ein trauriges Lächeln über sein Gesicht. Seine Augen waren trübe. Wahrscheinlich stand er unter einer hohen Dosis Morphium.
Mitleid, Wut und Enttäuschung stiegen in Ella auf. Am liebsten hätte sie geschrien, doch sie brachte kein Wort heraus. Alles, was sie tun konnte, war, den Arm auszustrecken und Esteban zu sich herüberzuziehen.
In diesem Augenblick ertönte ein Krachen. Die Brücke schwankte und kippte dann zur Seite. Eine der Bodenstreben war gebrochen. Eine Lücke von etwa fünfzig Zentimetern tat sich auf, die rasch breiter wurde. Mit einem markerschütternden Quietschen verbog sich das Metall. Dann brach auch die zweite Strebe. Die Brücke hing jetzt nur noch am Geländer zusammen, und es war absehbar, dass sie in wenigen Sekunden vollends auseinanderbrechen würde. Ella packte Estebans Hand und zog ihn mit einem Ruck zu sich herüber. In diesem Moment gab es einen Knall, gefolgt von einem Klatschen. Es hörte sich an, als würde ein Riesenkalmar seinen Fangarm aufs Wasser schlagen. Gischt spritzte in die Höhe und raubte ihnen die Sicht. Als Ella nach oben blickte, sah sie, dass die Stahltrosse, an der das U-Boot wie an einer Angel gehangen hatte, nicht mehr existierte. Die Zugkräfte hatten das daumendicke Stahlseil einfach durchtrennt. Entgeistert musste Ella mit ansehen, wie die
Shinkai
in den aufgewühlten Fluten versank. Mit einem gewaltigen Zischen flogen ihnen jetzt auch die beiden Kohlefaserleinen um die Ohren. Ella zog den Kopf ein, während sie sich und Esteban hinter der Reling in Sicherheit brachte. Als sie wieder hochkam, sah sie, dass sowohl der Offizier als
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