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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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schon auf ihr. Er blickte mir in die Augen und meinte lächelnd: »Das Leben ist wie ein Festessen. Man muss zur rechten Zeit aufhören.«
    Der Mond war fast voll. Erwartungsvolle Unruhe lastete auf den Inseln. Auch die Natur schien davon ergriffen zu sein. Der sommerliche Gesang der Grillen war erloschen. Kein Windhauch bewegte die Blätter der Bäume. Das Geschrei der Möwen erschallte noch schriller als sonst. Die Ordensfrauen gingen so ernst umher, als wäre auch ihre Lebensfrist abgelaufen.
    Dann herrscht eine Stimmung wie in einem Bienenvolk kurz vor dem Hochzeitsflug. Die Sexualität, sonst kein Thema unter Blühenden und Ordensfrauen, steht mit einem Mal im Mittelpunkt unserer Gedanken und Gespräche.
    Ich hörte, wie eine Ordensfrau zu einer anderen sagte: »Die Hoden der Gemeinen Fledermaus sind doppelt so groß wie ihr Gehirn.«
    Und bei anderer Gelegenheit erfuhr ich aus dem zahnlosen Mund der alten Mater Thekla, dass Ratten sich bis zu fünfhundertmal am Tag paaren und dass der Penis der Moorente länger ist als das ganze Tier. Dabei sah man ihrem Gesicht an, wie ekelhaft sie das fand.
    Was vollzog sich dort draußen auf den Inseln, auf denen die Blühenden, getrennt nach Geschlechtern, zu fortpflanzungsfähigen Männern und Frauen heranreiften, um der höchsten Glückseligkeit teilhaftig zu werden?
    Da Blühende wie Ordensfrauen nie sexuelle Wonnen oder Ekstasen am eigenen Leib erlebt haben, betrachten sie das orgiastische Finale als eine Art unbegreifliches Mysterium, das ihnen Schauer über den Rücken jagt. Auch ich vermochte mir nicht vorzustellen, was dort draußen auf der Schmetterlingsinsel abläuft.
    »Es geht zu wie bei den Fröschen«, hatte Mater Metula mir erklärt.
    »Und wie geht es bei den Fröschen zu?«, wollte ich wissen.
    Da ist sie mit mir zu dem Moor hinter der Mondfischbucht gelaufen. Die Dunkelheit war schon hereingebrochen, und das Quaken der Frösche übertönte die Brandung des Meeres.
    »Warum schreien sie bloß so entsetzlich?«
    »Vor Sehnsucht und Gier nach Liebe.«
    »Aus Liebe? Wie kann man aus Liebe schreien?«
    Als Antwort stieg sie in den flachen Tümpel, um dem unheimlichen Spuk ganz nahe zu sein. Die Frösche waren so sehr mit sich beschäftigt, dass sie uns nicht wahrnahmen. Mater Metula griff nach einem aufeinanderhockenden Paar, und als sie es aufhob, sah ich, dass drei Frösche davonsprangen.
    »Sie werden von so wilder Liebesraserei befallen, dass sie oft genug bei der Begattungsumarmung ihre Weibchen zerfetzen. Sie klammern sich auch an anderen Männchen fest, sogar an Fischen, denen sie die Kiemen zudrücken. Sie vergreifen sich an allem, was schwimmt, sogar an Treibholz. Die sexuelle Gier beraubt sie jeglicher Vernunft.«
    An die Liebesraserei der Frösche musste ich denken, als der Nachtwind den Klang der Trommeln von der Schmetterlingsinsel herüberwehte. Mir schauderte vor der wütenden Gier, die uns den Verstand raubt und in den Tod treibt, wie die Spinnen, die während der Begattung ihre Männchen fressen, oder wie die Drohnen, die nach dem Hochzeitsflug erstochen werden. Meistens sind es die Männchen, die nach Erfüllung ihres sexuellen Auftrages aus dem Leben scheiden. Bei den Blühenden wie bei den Lachsen müssen beide Geschlechter sterben, um dem neuen Leben Platz zu machen.
    Wilde Träume verfolgten mich in jenen Nächten.
    Ich stehe am Rand eines moorigen Tümpels. Das Wasser brodelt vor zappeliger Bewegung, aber es sind keine Frösche. Es sind Menschen. Sie lieben sich paarweise, zu dritt und zu viert. Zwei Bärtige umklammern eine Frau, einer von hinten, der andere von vorn. Im Mondlicht glänzen ihre nackten Körper wie Krötenhaut. Arme und Beine, ineinander verschlungen wie Schlangenleiber, in gleitender Bewegung. Münder, die sich an quellendem Fleisch festgesaugt haben. Ein Mann mit einem Geschlecht wie ein Esel über einer Frau mit schwingenden Brüsten. Moorverschmierte Bäuche neben schweißglänzenden Gesichtern. Giftgrüne Blasen quellen aus dem Morast und zerplatzen an der Luft. Bäuche und Schenkel spiegeln sich im schlammschwarzen Wasser. Schmatzen, Kreischen und lustvolles Stöhnen. Befingern, Betatschen und Verschlingen. Dazu dröhnen die Trommeln, hektisch wie fiebriger Herzschlag.
    Am Ende erwache ich schweißgebadet.
    Alle drei Monate das gleiche schaurige Mysterium. Und trotzdem überfällt uns alle immer wieder das gleiche Fieber, wenn die Trommeln zur letzten Lust rufen. Kaum einer denkt an die Neugeborenen, die zur

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