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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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geantwortet:
    »Gibt es vollendetere Flugmaschinen in die Vergangenheit als Bücher? Keine noch so ferne Zeit, in die sie dich nicht tragen könnten. Du willst mit Marco Polo durch das alte China reisen oder mit Dante durch das klassische Florenz? Du willst Kaiser Nero im Circus Maximus erleben oder Stalin im Kreml? Steig ein! Die Bücher bringen dich, wohin du willst. Herrscher, Heilige und Wissenschaftler, die vor vielen Jahrhunderten gelebt haben, sprechen in diesen Büchern so lebendig zu dir, als säßen sie neben dir.«
    Gefährlich wie die Strahlung in einem Atomkraftwerk ist das Wissen, das von diesen Büchern ausgeht. Aus diesem Grund ist der Zugang nur wenigen gestattet. Ungeheures Leid ist von diesem bedruckten Papier ausgegangen, vom Völkermord bis zur Verblödung der Massen, die vor lauter Lesen und Fernsehen immer realitätsfremder wurden. Das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Auch Filme wurden aus Büchern gemacht.
    Fünf Jahre habe ich im Tower arbeiten dürfen. Obwohl mir nicht alle Bände zur Verfügung standen, habe ich in jener Zeit gelesen, gelesen und gelesen. Es waren wahrhaftig aufregende Reisen in die Vergangenheit.
    Ich hätte mein ganzes Leben dort verbringen können, musste aber gehen, weil die Beschäftigung im Tower nur befristet ausgeübt werden darf.
    Kein Mensch kann das, was in diesen Büchern steht, in seinem Kopf speichern. Man nimmt das Gelesene wie Nahrung auf und vermag sich schon nach kurzer Zeit nicht mehr zu erinnern, was man zu sich genommen hat. Und das ist gut so. Man würde sonst auf der Stelle verrückt werden.

13. KAPITEL
    N icht-krank-sein-Können ist eine Krankheit«, behauptet Asra. »Der gesunde Körper braucht hin und wieder die Flucht aus der leidfreien Scheingesundheit. Manche Krankheiten müssen geradezu als gesundheitsförderlich angesehen werden. Sie sind wichtig, um die Kunst des Immunwerdens zu erlernen.«
    Mit solchen Sätzen versuchte Asra mich zu trösten, als ich in ihr Hospital eingeliefert wurde.
    Asra ist die Prinzipalin der Genesungsinsel Karakara. Obwohl älter als ich, ist sie dennoch glatthäutig wie eine Blühende. Die lebendige Verkörperung der Gesundheit. Sie würde jetzt sagen: »Nicht der Gesundheit, sondern der Gesundheiten. Denn so, wie es verschiedene Krankheiten gibt, so gibt es auch verschiedene Gesundheiten. Wenn zwei frierend durch den Regen laufen und nur einer sich erkältet, obwohl beide die gleichen Krankheitskeime einatmen, dann liegt das daran, dass sie von unterschiedlicher Gesundheit sind. Nicht auf den Erreger kommt es an, sondern auf den Organismus, den er vorfindet.«
    Mein Organismus hatte sich offensichtlich in keiner guten Verfassung befunden. Bewusstlos, mit entzündeten Lungen und vom Fieber geschüttelt, war ich nach Karakara gebracht worden.
    Als ich dort aus mehrtägiger Ohnmacht erwachte, lag ich auf einem ovalen Wasserbett. Dicht über mir wölbte sich die Decke, so rund und eiförmig wie der übrige Raum. Tageslicht sickerte durch die glatt polierten Wände. Welch seltsamer Traum.
    Ich kniff mir in die Wange und spürte den Schmerz. Nein, das hier war kein Traum. Ich steckte wahrhaftig nackt wie unausgebrütet in einem Ei. Was hatte das zu bedeuten? Mir fielen die Eier ein, die ich auf Gemora gesehen hatte. »Heilgondeln« hatte die Prinzipalin sie genannt.
    Ich drückte auf den roten Knopf, der vor mir aufleuchtete, und dabei kam es mir so vor, als würde sich mein Gehäuse in Bewegung setzen, um mit mir davonzuschweben. Nach kurzem Flug und ruckartiger Landung wurde die Decke über mir aufgeklappt. Ein Gesicht beugte sich zu mir herab: »Wie fühlst du dich?«
    »Wie ein Küken in seinem Ei.«
    »Dann ist das Schlimmste überstanden.«
    Bitter schmeckende Medizin floss über meine Lippen. Davongleitend, spürte ich, wie ich in tiefem Schlaf versank.
    Es war das erste Mal, dass ich in einer Heilgondel steckte und ihre Heilkraft am eigenen Leib erfahren sollte. Welch ein Fortschritt gegenüber den alten Krankenhäusern!
    Damals waren die Patientenzimmer durch Flure und Treppenhäuser miteinander verbunden, auf denen Ärzte, Kranke und Besucher umherliefen und ungehindert Krankheitskeime verbreiteten. Die Patienten wurden auf rollenden Betten durch das ganze Haus geschoben, um operiert, verbunden und therapiert zu werden.
    Wie übersichtlich klein ist dagegen unser Inselhospital: ein niedriges, helles Gebäude neben einem steinernen Turm für die Gondeln. Jede einzelne ist eine von der Umgebung

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