Magnolia Haven 01 - Morgendammerung
heruntergelassener Hose und versuchte mit Gewalt, dem sich heftig wehrenden Mädchen seinen Willen aufzuzwingen.
»Hör auf dich so anzustellen, du Miststück«, zischte er gerade und schlug Martha mit der flachen Hand ins Gesicht.
»Michael«, rief Joanna entsetzt, »Was um Himmels willen tust du da?«
Der Junge ließ von der weinenden Martha ab, stieg vom Bett und drehte sich völlig ungeniert zu Joanna um.
»Reg dich nicht auf, wir haben nur ein bisschen Spaß«, erklärte er gelassen, während er seine Hose in Ordnung brachte.
Geschockt starrte sie ihn an, nicht in der Lage, irgendetwas zu sagen.
Mit gleichgültigem Gesicht kam Michael auf sie zu, schob sich wortlos an ihr vorbei aus der Tür und verschwand.
Nachdem sie sich von ihrem ersten Schreck erholt hatte, trat Joanna zu Martha ans Bett.
»Bist du okay? Hat er …?«
Verlegen zog die junge Frau ihr Kleid herunter. »Nein, du bist gerade noch rechtzeitig gekommen.«
»Du musst es seiner Mutter erzählen«, riet Joanna ihr.
»Nein«, hastig schüttelte Martha den Kopf, »auf keinen Fall. Es ist ja nichts passiert, also lass uns das am besten vergessen.«
Ungläubig schaute Joanna sie an, betrachtete die roten Abdrücke auf ihrer Wange, die davon zeugten, dass Michael ihr mehr als eine Ohrfeige gegeben hatte.
»Wie kannst du nur sagen, dass nichts passiert ist, er hat dich geschlagen, und wenn ich nicht hereingekommen wäre, hätte er vermutlich noch Schlimmeres getan. Wenn du nicht mit Olivia reden willst, dann werde ich es tun.«
»Bitte«, beschwor Martha sie, »bitte lass das. Ich will keinen Ärger haben, und ich will auch meinen Job hier nicht verlieren.«
Joanna zögerte, doch der Blick in Marthas Augen war so angsterfüllt und flehentlich, dass sie schließlich nachgab.
»Gut, ich möchte nicht, dass du Schwierigkeiten bekommst. Aber du solltest in Zukunft gut auf dich aufpassen, wenn er merkt, dass er ungestraft davonkommt, wird er es vielleicht nochmal versuchen.«
»Ja«, nickte Martha hastig, »ich werde ab sofort meine Tür abschließen.«
Mit einem tiefen Seufzen stand Joanna auf und ging zur Tür.
»Joanna«, hielt Martha sie zurück, und als sie sich zu ihr umdrehte, lächelte die junge Frau sie an. »Danke, das werde ich dir nicht vergessen.«
10
Wenig später lag Joanna in ihrem Bett, aber sie konnte nicht schlafen. Immer wieder hatte sie das Bild vor Augen, wie Michael über der wehrlosen Martha kniete und sie schlug, und ihr war hundeelend.
»Meine Güte, er ist doch erst vierzehn«, ging es ihr durch den Kopf. »Wie kommt er dazu, so etwas zu tun?«
Dann fiel ihr ein, dass sie schon öfter beobachtet hatte, wie gefühllos Michael sich benahm. Ohne jeglichen Grund hatte er auf ihren Spaziergängen Blumen abgeknickt, hatte Käfer oder andere kleine Tiere unter seinen Schuhen zertreten, und einmal hatte er einem Schmetterling die Flügel ausgerissen. Obwohl sie sich an diesem Verhalten gestört hatte, hatte sie sich nichts dabei gedacht. Nach der Szene in Marthas Zimmer war sie sich jedoch nicht sicher, ob Michael nicht ein ernstzunehmendes Problem hatte.
Nach ihren Jahren im »Red Lantern« waren ihr solche Dinge nicht fremd. Zwar hatte ihre Mutter immer versucht, das alles von ihr fernzuhalten, aber sie hatte genug mitbekommen. So wusste sie auch, dass es Männer gab, die einen Reiz darin fanden, anderen Schmerzen zuzufügen, sie zu quälen oder zu demütigen.
Unruhig drehte sie sich in ihrem Bett hin und her, überlegte, ob es nicht vielleicht doch besser war, mit Olivia darüber zu sprechen. Dann sah sie jedoch Olivias hochmütiges Gesicht vor sich, ihre kalt blitzenden Augen, den bösartig verkniffenen Mund, und sie ahnte, dass es keinen Sinn hätte. Abgesehen davon, dass sie vermutlich sowieso kein Wort glauben würde, würde sie ihren Zorn bestimmt an Martha auslassen, und das war das Letzte, was Joanna wollte.
Außerdem konnte sie selbst keinen zusätzlichen Ärger gebrauchen. Jakes Verhalten belastete sie ohnehin schon genug, und sie wollte die angespannte Atmosphäre nicht noch verschärfen, indem sie sich ungebeten in Familienangelegenheiten einmischte.
Am nächsten Morgen begegnete Michael Joanna, als wenn nichts vorgefallen wäre. Sowohl beim Frühstück als auch während des Unterrichts benahm er sich vollkommen harmlos und unschuldig. In seinen Augen bemerkte sie jedoch einen lauernden Ausdruck, als würde er darauf warten, dass sie irgendetwas sagte.
Dieser Blick machte ihr Angst, doch sie
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