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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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dass es auf dem Boden kniet und die Grütze vom Teppich kratzt.
    Das Blut wummert noch immer durch Wilhelmines Körper, in einem fremden, furchterregenden Takt. Sie liegt und starrt auf das
     Mädchen, riecht mehr, als sie sieht, dass »Tosca« auf den Teppich gekippt wird, Bilder stürzen auf sie ein, das Kind auf der
     feuchtkalten Matratze kauernd, schlafmatt und voller Vertrauen; sie fühlt grenzenlose Angst und die stumme Runde der Blicke,
     die in sie dringen. Alle Kraft braucht sie, sich diese Bilder vom Leib zu halten. Beklemmung packt ihre Kehle, während das
     Herz in ihr schlägt, als gehöre es nicht dazu.
    Die Russin stößt sie aus ihrer Trance. »Für deine Frechheiten musst du bezahlen.« Entschlossen bückt sich das Mädchen zum
     Schrank und holt die blaue Schatulle hervor. Sie fischt etwas heraus, dieses Mal ist es die Goldkette mit dem Kreuz, doch
     Wilhelmine nimmt sie kaum wahr, es kommt nicht mehr darauf an. Sie reißt sich mit aller Kraft zusammen, öffnet den Mund, die
     Stimme zittert wie ihr Körper. »Aber … es war doch besser so.«

In dem graugestrichenen Küchenschrank stehen mehrere beigefarbene Blechdosen mit schwarzem Klappdeckel. In einer ist Kaffeepulver,
     vollkommen geruchlos, in zwei weiteren finden sich Sammelsurien von Puddingpulverpäckchen,Gummiringen, Plastikmesslöffeln und kleinen Pappstückchen. Uralte Rabattmärkchen, von irgendwelchen Lebensmittelverpackungen
     ausgeschnitten. Jelisaweta fingert die Kette aus ihrer Hosentasche und wirft sie achtlos zu den anderen Schmuckstücken, die
     sich in den vergangenen Tagen zwischen den Puddingtütchen angesammelt haben. Es scheppert leise. Dann verschwindet die Dose
     wieder hinter der blauen Haferflockentüte.
    Was für ein Geschrei hat die Alte beim letzten Mal veranstaltet, als Jelisaweta einen Ring aus dem klapprigen Schmuckkasten
     genommen hat. Diebesgesindel und Russenpack hat sie geschrien, und Jelisaweta hat sich eingestehen müssen, dass sie selbst
     nicht mehr genau weiß, warum sie den alten Flitter nach und nach mitgenommen und in der Puddingdose versenkt hat. War es Zorn
     über die Unterstellungen oder Rache, vermischt mit einem winzigen Gefühl von Macht; die Hoffnung, etwas gegen die Alte in
     der Hand zu haben, sie zum Schweigen bringen zu können? Offenbar hat es funktioniert, wenn auch so unvermittelt, dass Jelisaweta
     die Sache nicht geheuer ist. Es stimmt, was man im Krankenhaus sagt: Irgendwann fangen sie alle an zu spinnen. Manchmal lässt
     sich sogar darüber lachen, wenn es besonders grotesk wird. Aber jetzt ist Jelisaweta nicht zum Lachen, stattdessen spürt sie
     ein Brennen, tief in der Brust.
    Sie greift nach ihrem Teebecher, der sich mittlerweile kalt anfühlt, und geht langsam hinüber ins Wohnzimmer. Die Alte hat
     nicht gegessen, doch Jelisaweta ist sicher, dass sie vorerst nicht einmal ein Butterbrot anrühren würde. Den kalten Becher
     umklammert, lässt sie sich in demweichen Ohrensessel nieder, von dem aus man die Tannen im Blick hat. Das Haus ist still, selbst die bemalte Uhr mit den Gewichten
     in der Diele schweigt, Jelisaweta hat keine Ahnung, wie sie aufzuziehen ist.
    Mit dem Daumen fährt sie an der gedrehten Kordel entlang, die an den Kanten der Armlehne befestigt ist. Wenn man sie mit dem
     Nagel etwas anhebt, kann man den Faden sehen, mit dem sie am Polsterstoff angenäht ist. Das kann keine Maschine, jemand muss
     die meterlange Kordel mit der Hand angebracht haben, und der Gedanke, dass die Finger dieses Jemands dieselbe Stelle berührt
     haben, die nun Jelisawetas Finger berühren, nimmt sie auf sonderbare Weise ein.
    Vielleicht ist es wahr, vielleicht werden sie alle irgendwann verrückt, doch diese Alte dort oben ist ihr bisher so erstaunlich
     klar erschienen, bedächtig und beinahe weise. Unvermittelt sieht sie Babka vor sich, jene undurchdringliche graue Person,
     gewichtig und herb wie ein Mann, allein der Gedanke an sie macht Jelisaweta beklommen. Sie hört ihre Stimme und ist wieder
     zu Hause, damals, wie lange mag das her sein, fünfzehn Jahre, eine Ewigkeit …
     
    Der Badezimmerhocker steht umgedreht auf dem Fliesenboden, sein weißer Kunststoffsitz ist eine flache Schale, mit Wasser gefüllt,
     aus der die Silberbeine mit den Rostpunkten in die Luft staksen. Jelisaweta schielt nach dem hellgrünen Frisierumhang, der
     am Türhaken hängt. An einem der Stuhlbeine befestigt, gäbe er eine wunderbare Fahne ab oder ein Segel, aber um ihn vom Haken
     zu holen,

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