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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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die Schiebetür blind. Einer von Mamas Typen hat irgendwann einmal erklärt,
     dass Luft zwischen die beiden Scheiben gekommen sei und dass es sinnlos wäre, die Schlieren wegputzen zu wollen, Jelisaweta
     solle endlich damit aufhören.
    Mama kann stundenlang so dastehen und rauchen, dabei mit der freien Hand in den Geranien herumzupfen.
    Jelisaweta klopft mit dem Knöchel gegen die Scheibe, bis Mama sich mit fragendem Blick umdreht. Jelisaweta zeigt auf die Blumen.
     »Hör auf, Mama, du ruinierst sie komplett.«
    »Das Verwelkte muss ab«, antwortet Mama und hat sich schon wieder abgewandt.
    »Aber nicht die frischen Blüten, die sind alle noch gut.« Jelisaweta drückt sich durch den Spalt ins Freie, schiebt Mamas
     Hand beiseite und zeigt auf die weißen Punkte, die wie Konfetti auf dem Betonboden kleben. »Warum hast du so ein Theater gemacht,
     um weiße zu kriegen, wenn du sie bloß ausreißen willst?«
    Aber Mama antwortet nicht, sie bläst ihren Rauch zu einem unsichtbaren Ort irgendwo in der Ferne und wedelt mit der Hand in
     Lisas Richtung, als gäbe es eine Fliege zu verscheuchen. Schon am Abend werden nur noch kahle Stängel übrig sein.
     
    Die Tannen rings um das Haus sind so hoch und dicht, dass Jelisaweta kaum bis zur Straße schauen kann. Weil auf den Nachbargrundstücken
     nur niedrige Sträucher und ein paar kleine Bäume wachsen, wirkt das Haus vonweitem wie ein einsamer, hoher Grasbüschel, ein Fleckchen wilde Wiese, das man beim Rasenmähen übersehen hat. Sie ist die
     letzte Alte in dieser Straße, denkt Jelisaweta. Wenn sie weg ist, wird Karin Hübner alle Bäume fällen und das ganze Gestrüpp
     ausreißen lassen. Karin Hübner. Wie viel wird sie im Nachhinein für die beiden verpatzten Sonntage springen lassen?
    Fluchend trägt Jelisaweta die tote Pflanze zur Küche und wirft sie in den Mülleimer.

»Bah!« Angewidert schiebt Wilhelmine den Teller von sich. »Was soll das sein?«
    »Kascha. Russische Spezialität.«
    »Nimm den Dreck wieder mit.«
    »Ach, hör auf …« Die Stimme der Russin klingt matt.
    »Russendreck!« Wilhelmine klopft den zähen Brei energisch mit der Unterseite des Löffels flach. So etwas hat sie schlimmstenfalls
     in den Hungerwintern gegessen.
    Wilhelmine spürt Lisas Blick, mit müden Augen sieht das Mädchen sie an. »Essen. Sonst kriegst du Pichelsteiner Topf.«
    Diese Frechheiten muss sie sich nicht bieten lassen. »Ich werde mich beschweren.« Wilhelmines Hände tasten auf der Bettdecke
     herum. »Ich will mein Telefon!«
    Die Russin zieht die Stirn kraus. »Wohin willst du denn rufen? Deine Karin liegt am Strand und bescheint sich. Ess lieber
     Kascha.« Dann verharrt ihr Blick einen Augenblick auf Wilhelmine, als überlege sie. »Schmeckt schön russisch!«
    »Sofort bringst du mir mein Telefon!«
    »Ach, mach mir Frieden mit diese Geschrei. Wie weiß ich, wo dein Telefon ist?« Als wäre nichts geschehen, zieht Lisa seelenruhig
     die Vorhänge zur Seite, öffnet die Balkontür weit und tritt mit erhobenem Kopf in die Kälte hinaus.
    »Mach zu, Russin, es ist eiskalt.«
    Lisa kommt wieder ins Zimmer. »Hier stinkt es.«
    »Mach gefälligst zu, ich erfriere. Und bring mir etwas anderes zu essen. Solchen Russendreck will ich nicht.« Wilhelmine gibt
     dem Betttablett einen wütenden Stoß. Es kippt, der Teller rutscht über die Bettdecke und landet mit einem dumpfen Schlag auf
     dem Boden. Schadenfroh beugt sich Wilhelmine zur Seite, presst dann aber die Lippen zusammen. Die breiige Masse tropft von
     der Bettkante direkt auf den Teppich. Warum liegt kein Handtuch vor dem Bett, wie es sich gehört? »Was …«, hebt Wilhelmine
     zu schimpfen an, doch dann fällt ihr ein, dass sie selbst es am Morgen mit dem Gehstock auffischen und damit nach dem Russenweib
     schlagen wollte, es dabei aber nur zur Seite geschoben hat.
    »Bljad!«, zischt Lisa und sieht erst die Sauerei auf dem Teppich, dann Wilhelmine an.
    »Böses altes Giftweib!«
    Starre. Das Wort dehnt sich tonlos, nimmt allen Raum ein, bis Wilhelmines Herz wieder anspringt und hämmert, dass ihr der
     Hals eng wird. Sie ringt um Luft. Nein, das kann nicht sein, das ist unmöglich! Ihr ist, als bohrten sich die Blicke des Mädchens
     tief in sie hinein, durch alles Fleisch und alle Knochen und alles, was dahinter liegt, unerbittlich. »Wer bist du?«, fragt
     sie leise,zitternd, doch sie weiß nicht, ob sie es wirklich ausgesprochen hat, das Mädchen gibt keine Antwort, irgendwann merkt Wilhelmine,
    

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