Magnolienschlaf - Roman
festzuhalten.
»Lass mich, Faschistenschwein!«, brüllt Babka und strampelt.
Der Mann schiebt einen Strohhalm in Babka hinein, zwischen Babkas Beine, unten, wo das Pipi rauskommt. Er schimpft dabei weiter,
weil die Babka so um sich schlägt. »Drecksfaschist!«, schreit sie.
Mama gibt Jelisaweta einen Schubs und bedeutet ihr mit dem Kopf, zu verschwinden. Doch Jelisaweta macht nur einen kleinen
Schritt zurück, starrt fasziniert auf den Mann, der Babka schließlich wieder zudeckt, seine Silberschüssel nimmt und Mama
zum Abschied zunickt. Als er an Jelisaweta vorbeigeht, lächelt er und macht eine doofe Grimasse, wie Erwachsene sie machen,
wenn sie Kinder zum Lachen bringen wollen. Aber Jelisaweta lacht nicht, sie zieht die Brauen und Lider zusammen und schaut
den Faschisten so finster an, wie sie nur kann.
Kraftlos drückt Wilhelmine den harten Brocken gegen ihren Gaumen, bis er aufgeweicht ist, schluckt ihn widerwillig und presst
die Lippen fest zusammen, damit Elsemarie ihr nicht noch einen in den Mund schiebt.
»Du musst essen!«
Wilhelmine brummt zur Antwort. Sie hält die Augen geschlossen, legt den Handrücken über die Lippen. »Geh fort mit deinem Russendreck.«
»Kein Dreck, ist Zwieback. Essen!«
Ein neuer Brocken drängt an ihre Lippen.
»Das hast du doch wieder von ihm. Bah. Davon will ich nichts.«
»Was? Von wem habe ich?«
»Ich hab euch doch gehört, in der Nacht.« WilhelminesStimme ist schwach. Lass mich in Ruhe, sollte sie sagen, lass mich sterben. »Drecksschweine sind das, russische Drecksschweine.«
»Wer sind Drecksschweine?« Elsemarie rüttelt sie sachte am Arm. »Hallo. Wer sind Drecksschweine?«
Das ist nicht Elsemarie. Mühsam schlägt Wilhelmine die Augen auf. Nur schwach dringt Licht aus dem Badezimmer. »Ach, Kind.«
Dann erkennt sie die Russin, und wieder ist ihr, als sei sie gerade erst erwacht.
»Warum?«
Die Mädchenhand liegt auf Wilhelmines Arm.
»Warum sind das Schweine?«
Wilhelmine atmet so tief sie kann, atmet gegen die Bilder an, gegen die Leiber, das Blut, den Dreck.
»Warum sagst du so, immer Schweine?«
»Wie Tiere! Wie Tiere sind sie!« Sie schweigt. Schnaubt. »Meinen Mann habt ihr getötet«, setzt sie mit Trotz hinzu.
»Redest du von Krieg, ja?«
»Tiere!«
»Hallo.« Die Russin sitzt auf der Bettkante, mit der Hand auf ihrem Arm, als wäre die Russin groß und Wilhelmine klein. »Du
hast geheiratet 1958. Dann war Krieg schon lange aus.«
»Ach!« Unwirsch schüttelt Wilhelmine ihre Hand von sich. »Was weißt denn du!«
»Steht in Ehering, hast du verloren auf Teppich.«
»1930 hab ich geheiratet. Den Josef Hübner. Und 41 habt ihr ihn mir totgeschossen.«
Die Russin schweigt eine Weile, ehe sie antwortet. »Ich habe niemand totgeschossen. Und ich habe keine Krieg angefangen.«
»Josef hat nur seine Pflicht getan, er war Soldat. Aber er hat nicht gewütet und geplündert und keiner Frau etwas zuleide
getan wie …, wie … ihr Drecksrussen!« Die Worte hallen in Wilhelmine nach, krallen sich fest, treiben ihr das Brennen in die
Augen.
Die andere gibt keine Antwort mehr, sitzt stumm, irgendwann nimmt sie vorsichtig die Hand fort, steht schließlich auf und
geht. Leise schließt sich die Tür. Licht fällt aus dem halb geöffneten Badezimmer.
Josef. Wilhelmine sieht ihn lachen, lächelt selbst. Ja, er ist ihre sonnige Seite gewesen, damals; sie hat sich nie um das
Lachen zu kümmern brauchen, er hat das für sie getan. Josef. Glücklich waren sie gewesen, damals, und der Krieg, ach, der
war weit weg, und der ginge auch vorbei, so haben sie damals gedacht. Das ist nur so eine vorübergehende Sache, die man ausgestanden
hat, ehe sie richtig da ist. Es fehlte ja an nichts, kein Hunger, keine Not. Ja, der Krieg, das war eine schlimme, tödliche
Krankheit, irgendwo in der Ferne.
Wilhelmine nickt auf ihrem Kissen vor sich hin, und ihr Kiefer fängt an zu zittern. Und als Josef dann nicht mehr wiederkam,
41 war das, im November, das weiß sie genau, als sie dastand, mit der halben Hundemarke in der Hand und dem Bescheid, diesem
tumben Papier von wegen Ehre und Vaterland, da war es auf einmal passiert, mit einem Schlag war sie ausgebrochen, diese Krankheit,
tödlich und unheilvoll, und mit einem Mal hat sie gewusst, dass mehr auf sie zukäme, als sie je würde ertragen können.
Nasilije. Jelisaweta schlägt im Wörterbuch nach, Schändung steht dort, Missbrauch. Notzucht. Oskwernenije. Wie in Nebel gehüllt,
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