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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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unserer Familie heißt niemand so.« In ihrer Stimme liegt etwas Genervtes. »Wer weiß,
     aus welcher Zeit diese Person stammt. In dem Alter geht doch alles kreuz und quer …« Karin Hübner sieht prüfend zum Blumenfenster.
     »Es ist schon richtig mild draußen, Sie könnten allmählich die Fenster putzen.«
    In den ersten, eintönigen Tagen ihres Aufenthaltes im Haus wäre Jelisaweta vermutlich froh über eine solche Aufforderung gewesen.
     Jetzt verspürt sie nur mehr schlaffe Wut und Widerwillen, die Langeweile hat sich wie ein dicker Schimmelpelz auf sie gelegt
     und allen Eifer erstickt.
    »Muss ich sehen, wenn ich Zeit habe«, entgegnet sie und legt Vorwurf in ihren Ton. »Kann ich sie nicht allein lassen, da oben,
     hören Sie ja, wie sie weint.«
    Bevor sie sich verabschiedet, inspiziert Frau Hübner das Schlafzimmer und kommt schulterzuckend herunter. »Sie schläft.« Erleichterung
     liegt in ihrem Gesicht.
     
    Die Damenblusen im zweiten Wäschekorb sind drei Nummern größer als die im ersten. Jelisaweta ginge jede Wetteein, dass Frau Hübner die Kleidung fremder Leute zu ihr bringt und für ihre Arbeit kassiert. Während sie den Stoff mit Wasser
     besprengt, vernimmt sie leises Weinen wie das entfernte Wimmern einer Katze. Sie sollte nach oben gehen, die Alte trösten,
     ihr die Hand halten und sie zur Ruhe bringen. Jeder normale Mensch würde das tun. Egal, wie biestig sich die Alte angestellt
     hat, dieses Weinen ist herzerweichend.
    Etwas stimmt mit meinem Herzen nicht, denkt Jelisaweta und drischt mit dem Plätteisen auf einen Hemdkragen ein. Es wehrt sich.
     Ganz deutlich spürt sie den pochenden Klumpen in ihrer Brust, der sich mit Vehemenz dagegen sträubt, sofort nach oben zu laufen,
     die Alte zu streicheln und bei ihr zu sitzen, bis sie schläft.
    »Mich streichelt auch niemand«, sagt Jelisaweta laut auf Russisch, und als es heraus ist, begreift sie, dass es die Wahrheit
     ist. Sie hat nie zuvor darüber nachgedacht. Nur Sergejs Hände haben sie gestreichelt, aber das ist nicht das Gleiche. Sergejs
     Streicheln, das ist wie Schweizer Schokolade, es verlangt einen danach, und irgendwann ist der Hunger gestillt. Wenn man zu
     viel davon bekommt, wird einem schlecht, zumindest ist ihr das bei Sergej so gegangen. Sergej, der ohnehin einer anderen gehört,
     einer Alexa oder wie auch immer sie heißt. Einer, die sich nicht in Umkleidekabinen oder dunklen Magazinen verstecken muss,
     um von ihm gestreichelt zu werden, einer, die nicht ihren Job verliert, weil er sie gestreichelt hat. Ein Tropfen fällt auf
     den weißen Hemdenstoff. Zornig reibt sich Jelisaweta mit dem Handballen über die Augen. Jetzt heult sie oben und ich unten.
     Das hat gerade noch gefehlt.
     
    Die Alte liegt, schläft, weint, schläft, lässt das Essen unberührt stehen, regt sich nicht einmal im Bett.
    »Sie müssen bisschen trinken wenigstens.« Im Sanitätsladen hat Jelisaweta eine Schnabeltasse aus milchigweißem Plastik gekauft,
     die sie der alten Frau mit Nachdruck an die Lippen setzt. Immer wieder betrachtet sie Wilhelmine Hennemanns blasse Wangen,
     denen die Haut zu groß geworden ist, und fragt sich, wie lange es dauern wird, bis dieser Körper ganz verfällt. »Trinken«,
     fordert Jelisaweta sie auf und merkt kaum, dass ihre Stimme immer sanfter wird.
    Nur manchmal duldet die Alte den Schnabel an ihren Lippen und schluckt ein paar Tropfen, als hätte sie ihren Widerstand vorübergehend
     über etwas Größerem vergessen. Dann und wann schluchzt sie auf wie im Traum, die Lider halb geschlossen, und greift fester
     nach Lisas Hand. »Geh nicht hoch, Kind, bleib!« Ungelenk streicht der alte Daumen über Jelisawetas Handrücken. »Komm.« Die
     Alte zieht an ihrer Hand, greift nach ihr, nach ihrem Gesicht, nach ihrem Haar, liegt dann wieder still, als schliefe sie.
     So jäh und unberechenbar hat Jelisaweta noch keine verlöschen sehen. Wie lange kann das so weitergehen? Eine Woche, zwei?
     Manche liegen Monate. Wieder beginnt Jelisaweta zu rechnen, wiegt die bereits vergangenen Tage gegen die noch bevorstehenden
     auf, addiert zwanzig Euro für jeden, ein mühsames Geschäft. Und dabei ist ihr, als hielte sie die Alte am Arm gepackt, ganz
     fest, um sie am Fortgehen zu hindern.
    »Da, posluschaj she …«
    Die Alte zuckt, liegt dann wieder starr, doch Jelisaweta ist sicher, dass sie ihr zuhört. »Ich gehe runter undhole Zwieback jetzt. Musst du essen. Und Tee trinken.« Sie spricht leise, dennoch scheint es

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