Magyria 01 - Das Herz des Schattens
Lichts.
Es war nicht in der Wohnung gewesen. Sondern hier.
Mattim.
Sie schloss die Augen, während sie an der Glaswand nach unten rutschte. Die Bilder kamen, eine ganze Flut von Bildern. Kalt war es. Draußen die Winterdunkelheit, während im Hof die Löwen schimmerten. Mattim, der gegen die Fahrstuhlwände schlug und schrie. Mattim, der die Arme um sie legte, ganz fest. Mattim, der gegen Kunun kämpfte und von ihm gegen die Wand gedrängt wurde. Mattim, der sie aus dem Haus führte, den Arm um ihre Schulter gelegt.
Du darfst nicht sterben. Hatte sie das zu ihm gesagt? Stirb nicht.
Es hatte keine gemeinsame Nacht gegeben. Sie war nicht in der Wohnung eines Fremden gewesen. Es hatte nur diese Stunden im Fahrstuhl gegeben, bloß sie und ihn, eingeschlossen mit dem Tod. Eingeschlossen mit einem Vampir.
In diesem Haus wohnten keine normalen Menschen. Ausschließlich Schatten, hatte er gesagt.
Sie sprang auf, eilte hinaus und hastete durch das stille Gewölbe. Erst als sie in die Menge tauchte, als sie in der
Metró eingezwängt auf der Bank saß, zwischen einer kleinen, alten Frau und einem bärtigen Obdachlosen mit riesigen Plastiktüten, fühlte sie sich einigermaßen sicher.
War sie so wieder zurück an die Donau gekommen, in der Metró, mit Mattim an ihrer Seite? Merkwürdig, dass sie sich nicht daran erinnern konnte. Doch dann, als würde ein verwackeltes Foto sich langsam scharf stellen, sah sie sich und Mattim vor die Tür des Hauses treten, unter den grinsenden Löwen.
Atschorek wartete auf sie. Sie war sehr schön, in dem echten Pelzmantel und der dazu passenden Fellmütze, aber ihr Lächeln verging, als sie Hannas schwankende Gestalt und ihr blasses Gesicht bemerkte.
»Meine Güte«, sagte sie nur.
»Was willst du?«, knurrte Mattim. Er blinzelte ins Licht, in die sanfte Helligkeit des Januarmorgens.
»Ich kann euch mitnehmen. Wollte sowieso gerade zu mir nach Hause fahren.«
»Nein danke.«
»Sei nicht blöd. Willst du ihr wirklich zumuten, mit der Metró zu fahren? Sie wird dir die Rolltreppe hinunterstürzen.« Atschorek öffnete die Tür einer schwarzen Limousine. »Na los, kommt.«
Mattim half Hanna auf den Rücksitz und setzte sich daneben. Atschorek beobachtete die beiden im Rückspiegel, während sie sich in den Verkehr einfädelte.
»Das musst du aber noch üben.«
Mattim stieß ein tiefes, knurrendes Grollen aus.
»Du warst zu gierig«, stellte Atschorek fachmännisch fest. »Das kommt daher, dass du zu lange gewartet hast. Wir können es nicht ertragen, dem Leben so nahe zu sein, ohne uns unseren Anteil zu holen. Gewöhn es dir lieber an, regelmäßig für Nachschub zu sorgen.«
»Wie schön du diese Dinge umschreibst.« Mattim wandte das Gesicht ab und starrte aus dem Fenster.
»Die Kunst besteht darin, genauso viel zu nehmen, wie es deinen Zwecken dient. Ich gebe zu, es dauert eine Weile, um das zu perfektionieren. Nicht einmal ich bekomme es so gut hin wie Kunun. Er kann die Entnahme so genau dosieren, dass dem Mädchen exakt die Zeit fehlt, in der er sie gebissen hat. Wenn es mal nicht so gut läuft, kann er ihr auch die Erinnerung an die halbe Stunde davor oder danach nehmen. Damit sie zum Beispiel einen Streit vergisst. Oder damit sie das Haus nicht mehr wiederfindet. Auf diese Weise kann er fast normale Beziehungen führen oder auch ein Mädchen sehr schnell loswerden, wenn er das Interesse verloren hat.«
Mattim sagte nichts. Er starrte weiter nach draußen auf die Stadt, die er zum ersten Mal bei Tageslicht sah.
»Noch etwas musst du wissen«, sagte Atschorek. »Wundere dich nicht, wenn du die Kleine in der nächsten Zeit häufiger triffst. Auch wenn sie dich nicht erkennt, wird es sie automatisch in deine Nähe ziehen. Ein Teil ihres Lebens ist in dir; das zieht sie automatisch an. Dagegen kannst du nichts machen. Entweder verwendest du sie weiter …«
»Nein!«
»… oder du suchst dir die Nächste. Dann hört es irgendwann auf, und du triffst sie nie wieder. Dafür hast du dann eine andere am Hals. Oder sie dich. Einerseits ist es recht praktisch, weil du dir nicht ständig jemand Neues suchen musst, der dich an sich heranlässt. Es kann einem aber auch auf die Nerven gehen. Aus diesem Grund bevorzuge ich die Abwechslung.«
»Mir wird schlecht, wenn ich dich so höre.«
»Ich wollte dich bloß warnen. Kunun und ich mussten das alles erst selbst herausfinden. - So. Ich halte hier an der Parkbucht. Schubs die Kleine raus. Ich werde ihr sogar ein Taxi rufen, wenn
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