Magyria 01 - Das Herz des Schattens
es dich freut.«
Mattim zog Hanna aus dem Auto nach draußen. Sie sah dem Wagen nach. Die Sonne spiegelte sich auf dem glänzenden schwarzen Lack.
In jeder freien Minute, wenn niemand sie störte, legte Hanna das blonde Haar auf ihren Schreibtisch und den weißen Schnürsenkel daneben. Sie lachte leise. Mattim würde nicht wissen, wer ihm diesen Streich gespielt hatte. Ein wenig fühlte sie sich schuldig - als sie den weißen Faden herausgezogen hatte, war sie noch der Überzeugung gewesen, dass sie etwas mit diesem Unbekannten gehabt hatte. Inzwischen wusste sie, dass dem nicht so war. Nur eine Nacht im Fahrstuhl, gezwungenermaßen. Nur Zuflucht unter seiner Jacke, der Kälte wegen. Nur seine Lippen an ihrem Hals, um ihm das Leben zu retten.
Vielleicht hatte er sie schon längst vergessen. Sie dagegen wurde ihn nicht los, doch das war nach allem, was Atschorek erzählt hatte, völlig normal. Dass es sie zu ihm zog; eigentlich gar nicht zu ihm, sondern zu dem Stück Leben, das von Rechts wegen ihr gehörte. Vielleicht funktionierte es ja nicht bei ihr, ihn auf diese Weise zu finden. Jeden Abend an den vergangenen Tagen war sie zur Burg hinaufgeschlendert, seine Worte im Ohr: Jeden Abend gehe ich an den Fluss. Ich gehe über die Brücke, über das fließende Wasser. Ich steige hoch zu den Ruinen und stelle mir vor, ich wäre wieder zu Hause. Aber er war nicht dort gewesen. Réka fand Kunun immer so mühelos - warum klappte es bei ihr nicht ebenso leicht?
»Hanna?« Réka steckte den Kopf durch die Tür. »Ich dachte, du würdest vielleicht mitkommen wollen?«
»Wohin? Du weißt, ich muss auf Attila aufpassen, deine Mutter ist immer noch nicht da.«
»Doch, ist sie. Ausnahmsweise sitzt sie mal nicht am Klavier. Außerdem hab ich gefragt. Es ist ihr sogar lieb, wenn ich nicht allein gehe.«
»Gerne.« Fast ein bisschen zu eilig sprang Hanna auf. »Komm, ich bin zu allem bereit.«
Etwas verwundert warf Réka ihr einen Seitenblick zu, als sie nebeneinander das Haus verließen. Mónika hatte sich
sehr herzlich verabschiedet. Nach dem letzten Wochenende war sie so freundlich, dass es geradezu unnatürlich war.
»Auf diese Weise muss sie sich um keinen von uns Sorgen machen«, erklärte Réka fröhlich.
»Was genau hast du vor?«, erkundigte Hanna sich.
»Keine Ahnung. Du weißt doch, wie es ist. Ich gehe irgendwohin, und er ist schon da.«
»Kunun.«
»Natürlich. Was dachtest du denn?«
Der Kunun, an den Hanna sich erinnerte, stand in der offenen Fahrstuhltür, groß und schwarz, er schien den Rahmen ganz auszufüllen, während er dort verharrte und auf sie herabblickte. Sieh an, du lebst. Ein Kunun mit einem Lächeln voller Hohn und Triumph. Ein Kunun, der zuschlug. Sie schämte sich dafür, dass sie nichts getan hatte, um Mattim zu helfen, als sein älterer Bruder die Hand gegen ihn erhoben hatte. Nicht einmal zusammengezuckt war sie, als ginge es sie nichts an, was mit ihm geschah.
»Wollen wir zur Burg hoch?«, schlug sie vor.
»Wir fahren nach Pest rüber«, bestimmte Réka. Allerdings klang sie nicht so zuversichtlich, wie Hanna es von ihr gewohnt war.
»Was ist?«
»Ich habe ihn schon eine ganze Woche nicht gesehen«, sagte Réka kleinlaut. »Ich glaube, er ist verreist.«
»Hat er dir nicht Bescheid gegeben?«
»Bestimmt. Ich hab’s wohl vergessen. Er ist nicht so. Er würde nicht einfach wegfahren, ohne es mir zu sagen.«
Hanna öffnete schon den Mund, um dem Mädchen klarzumachen, dass es sich etwas vormachte, schloss ihn jedoch wieder. Immerhin war sie noch hier; es brachte nichts, es sich schon wieder mit Réka zu verderben. Nachdem ihre Erinnerung zurückgekehrt war, wusste sie auch wieder, dass sie schon fest damit gerechnet hatte, die Familie verlassen zu müssen. Anscheinend hatte die Sorge wegen ihres
Verschwindens alles andere überlagert, aber Réka war launisch. Allzu schnell konnte ihre Freundschaft in Feindseligkeit umschlagen.
Am Parlament stiegen sie aus. Bäckereiduft wehte ihnen entgegen, als sie die Rolltreppe hochkamen. Réka grinste entschuldigend, während sie sich einen ganzen Pappkoffer voller Leckereien einpacken ließ - kleine Schnecken und Nusshörnchen. Hanna hatte den Eindruck, dass sich das Mädchen mit irgendetwas trösten wollte.
»Du glaubst nicht, dass du ihn heute findest, stimmt’s? Wolltest du deshalb, dass ich mitkomme? Damit du nicht allein hier bist, wenn es nicht klappt?«
»Nun ja … Vielleicht könnten wir ins Kino gehen?«
»Klar. Nicht
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