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Magyria 01 - Das Herz des Schattens

Titel: Magyria 01 - Das Herz des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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sein Bruder ihm auf die Schulter klopfte, war da für einen flüchtigen Moment, kürzer als ein Blitzstrahl, der flammende Wunsch, er hätte dieses Lob und die Anerkennung des dunklen Königs verdient.

ZWANZIG
    BUDAPEST, UNGARN
    In dieser Nacht träumte Hanna das erste Mal von den Wölfen.
    Im Wald war es dunkel. Die intensiven Gerüche von Erde und Laub waren durchzogen von unzähligen fremden Geruchsfäden. Mäuse. Ein Iltis. Die Vögel atmeten leise im Gebüsch.
    Wölfe trotteten durchs Gehölz. Graue Schatten, auf deren Rücken der Mond ein Muster malte. Die Lichtung war in ein silbernes Licht getaucht.
    Sie warf den Kopf in den Nacken und heulte …
    … und erwachte schweißgebadet. Mit klopfendem Herzen blickte sie zur Zimmerdecke hoch. Der Traum war so real gewesen, dass sie einen Moment lang nicht wusste, wer sie war und was sie in diesem Zimmer tat, statt draußen durch den Wald zu streifen. Irgendwann sank Hanna wieder zurück in den Schlaf, in andere, wirre Träume, in denen sie wieder zu Hause in Deutschland war und mit ihren Eltern darüber diskutierte, warum ihr Kinderzimmer so anders aussah. Selbst in diesen Träumen war sie auf der Hut und blickte immer wieder über ihre Schulter, aber die Wölfe kamen nicht wieder.
    Am Morgen packte Hanna ihre Sachen für den Sprachkurs zusammen. Sie brachte Attila zur Schule und fuhr weiter zum Institut, mit einem unguten Gefühl. Vokabeln zu lernen fiel ihr mittlerweile leicht, nach den ersten Anfangsschwierigkeiten. Mit der Grammatik dagegen stand sie auf Kriegsfuß. Sie musste sich die Lektion am besten noch einmal
ansehen. Die Lehrerin war streng. Obwohl sie alle diesen Kurs freiwillig belegt hatten, tat die Ungarin so, als müssten ihre Schüler mit ernsthaften Konsequenzen rechnen, wenn sie nicht in dem Tempo weiterkamen, das sie vorgab.
    Hanna blätterte in ihrem Lehrbuch, während sich der Raum allmählich mit den ungleichen Studenten füllte; Jugendliche, junge Erwachsene, eine Frau über fünfzig. Sie setzte sich, seufzte, streckte die Beine lang aus und stöhnte: »Was hat mich bloß geritten, Ungarisch zu lernen?«
    Das Mädchen schmunzelte. Mittlerweile konnte sie schon recht viel verstehen und besser sprechen, als sie erwartet hatte. Alle Kursteilnehmer machten Fortschritte.
    Schnell noch einen Blick ins Vokabelheft …
    Es war ihre Schrift. Kein Zweifel, sie selbst hatte sich diese Nachricht geschrieben.
    Ich muss beweisen, dass Kunun ein Vampir ist. Für Réka. Sie vergisst, dass er sie gebissen hat, jedes Mal. Wenn ich wiederkomme und nichts mehr weiß, dann ist klar, was passiert ist. Versuch dich zu erinnern! Unbedingt!
    Sie starrte auf die Botschaft. Es war dasselbe, was Mária gesagt hatte. Vor ein paar Tagen erst hatte sie geglaubt, was sie hier geschrieben hatte. Zweifellos.
    Noch nie war es ihr so schwergefallen, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Sie hörte nicht zu, las hundert Mal den Text, den sie an sich selbst geschrieben hatte, und versuchte den Schleier zu durchdringen, der alles verbarg, was passiert war.
    Zu ihrem eigenen Erstaunen konnte sie antworten, als sie aufgerufen wurde, und bekam ein dickes Lob für ihre gute Aussprache. Es ließ sie kalt, obwohl Frau Bertalan sich nur selten zu Nettigkeiten hinreißen ließ. Hanna konnte es kaum erwarten, bis die Stunde vorüber war. Sie sah auf die Uhr - würde das reichen, bevor sie Attila abholen musste? Wenn, dann musste sie es jetzt tun, solange er in der Schule
war. Mit ihm zusammen konnte sie unmöglich an den Ort zurückkehren, an dem sie gebissen worden war.
     
    Die Fotos waren ihr Leitsystem. Hanna ließ den Wagen stehen und fuhr mit der Metró, wie sie es offensichtlich auch an jenem Freitagabend getan hatte. Am Ostbahnhof stieg sie aus. Der Platz war groß, auch wenn die Baustelle den meisten Raum einnahm. Hier ein bestimmtes Haus zu finden war schwierig, allerdings nicht unmöglich. Dort war schon das Restaurant. Ihre Aufregung wuchs. Konnte es so einfach sein? Das war die Tür. Dieselbe Tür wie auf dem Foto. Eine hohe, verschnörkelte Tür, blassblau, durch deren Scheiben man einen Innenhof sah. Über dem Eingang hing das grimmige Antlitz eines steinernen Löwen.
    Die Klingelschilder verrieten nicht, ob hier ein gewisser Kunun wohnte. Hanna drückte die Klinke. Geschlossen. Natürlich. Wie war sie auf die Idee gekommen, es könnte offen sein? Alle Türen in Budapest waren abgeschlossen, niemand würde so leichtsinnig sein, das zu vergessen und finstere Gestalten

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