Magyria 01 - Das Herz des Schattens
atemberaubend schön, in einem bodenlangen schwarzen Kleid, als hätte sie sich gerade für ein besonderes Fest zurechtgemacht. Ihr dunkles rotes Haar fiel so glatt und glänzend an ihren Wangen herab, als trüge sie eine Perücke aus Kupfer.
»Setzt euch, meine Lieben. Ich zünde nur noch das Feuer im Kamin an, damit Hanna nicht frieren muss.«
Die Lampe beleuchtete einen großen Raum mit hoher Decke. Weiter oben entdeckte Hanna ein hölzernes Geländer, hinter dem sich ein weiterer Raum befand und vielleicht auch Türen; das war von hier aus nicht zu erkennen. Der schwarze Marmorboden schimmerte matt. Ein langer, wuchtiger Holztisch nahm eine Seite des Raumes ein, ein Dutzend hohe, schwere Eichenstühle umstanden ihn, und Hanna stellte sich vor, wie die Vampire dort tafelten und sich mit blutgefüllten Pokalen zuprosteten.
Atschorek hatte ihren Blick bemerkt, obwohl sie damit beschäftigt war, die Glut in dem massigen Kamin an der Wand zu entfachen. »Ein Haus, in dem man gut feiern und tanzen kann«, erklärte sie und lächelte, und man konnte ihr gerne glauben, dass es für sie nichts Schöneres gab als Feste, als Lachen und Ausgelassenheit in diesen düsteren Räumen. Auf einmal, obwohl sie sich eben noch vor ihr gefürchtet hatte, empfand Hanna Mitleid mit dieser schönen, jungen Frau, die zu einem Leben in der Nacht verurteilt war.
Vor dem Kamin lud eine Sitzgruppe aus schwarzem Leder zum Aufwärmen ein. Mattim zog seine Freundin zu einem breiten Sessel, in dem sie beide zusammen Platz fanden, Hanna näher am Feuer. Jetzt, da sie die Wärme spürte
und das flackernde Licht das Zimmer erhellte, kam es ihr gar nicht mehr so unheimlich vor.
Atschorek setzte sich ihnen gegenüber und starrte nachdenklich in die Flammen. »Manchmal«, sagte sie leise, »sitze ich hier stundenlang und erinnere mich.«
»An Magyria?«, fragte Mattim.
»An eine andere Zeit.« Die rothaarige Vampirin hob den Blick und ließ ihn auf Mattim und Hanna ruhen. »Ich hatte das Tor nicht offen gelassen«, sagte sie. »Trotzdem seid ihr hier. In der Höhle damals hattest du es gar nicht gemerkt, aber diesmal bist du doch bestimmt bewusst und mit Absicht durch den Schatten gegangen? Mir scheint, du hast ein paar Dinge gelernt, über die Kunun nicht erfreut sein wird.«
»Er weiß es schon und war tatsächlich nicht erfreut.«
Atschorek lachte vergnügt. »Der gute alte Kunun. Es käme ihm nie in den Sinn, irgendetwas zu tun, nur weil es Spaß macht. Und das tut es, nicht wahr?«
»Er meinte, es sei gefährlich.« Mattim verzog das Gesicht.
»Natürlich. Alle Dinge, die Spaß machen, sind gefährlich. Das sind aber die einzigen Dinge, die es wert sind, getan zu werden.«
Hanna wusste nicht so recht, was sie von dieser Philosophie halten sollte. Die Vernunft gebot ihr, zuzustimmen und sich wie ein Gast im Haus eines Vampirs zu verhalten, doch es war so falsch, so grundlegend falsch, dass sie nicht anders konnte.
»Es gibt tausend Dinge, die ungefährlich sind und trotzdem Spaß machen. Mit Kindern spielen. Oder Musik. Freundschaften. Und … Liebe.«
Atschorek nickte und lächelte. »All das, was du da aufzählst, ist gefährlich, liebe Hanna. Das Kind, das du liebst, könnte sterben. Die Musik, die dich in ihren Bann zieht, kann dein Leben verändern. Zum Guten wie auch zum
Schlechten. Du kannst am Klavier sitzen und spielen und dabei alles andere vergessen, deine Kinder oder deine Ehe.«
Wie konnte die Vampirin das über Mónika wissen? Beobachtete sie etwa das Haus der Szigethys? War sie da, hinter den Schatten, irgendwo im Dunkeln, und sah zu? Wieder lief es Hanna kalt den Rücken hinunter, aber Atschorek sprach weiter. »Freundschaft … oh, eines der gefährlichsten Spiele. Ein Band zu knüpfen, das niemals Bestand haben kann gegen die Bande des Blutes. Und Liebe? Ha! Liebe. Der Kuss des Todes im Frühling. Ist das nicht das Schönste daran - so ahnungslos zu sein wie ein Vogel im Baum, der singt und nicht weiß, dass der Pfeil bereits abgeschossen wurde, der ihn mitten ins Herz treffen wird?«
Mattim räusperte sich. »Atschorek, bitte! Hat Kunun … ich meine, wird er es zulassen?«
»Was? Dass ihr beide zusammen seid? Du und dein dunkelhaariges Kindermädchen?« Sie blickte Hanna an. »Ich weiß, wie dein Leben schmeckt. Ich habe davon gekostet, von diesem Aroma, das du in dir trägst. Ein Lied, stark und gewaltig und voller Hoffnung, ein Lied wie ein Sommertag, hell, sehr hell … Ich weiß, Mattim, was du da hast und
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