Magyria 02 - Die Seele des Schattens
du nicht!« Sie stieß ihn mit dem Fuß von sich. »Was hast du vor? Mich noch einmal zu beißen?«
Mit aller Kraft trat sie nach ihm und lehnte sich wieder über das Geländer. Das war der einzige Ausweg – dieses Wasser, von dessen Grund das Licht aufstieg. Nie zuvor hatte sie es gesehen, mit solcher Klarheit, die ihr die neue Existenz schenkte. Dort, im Donua, das Licht …
Da, zwei Boote, die unter der Brücke hervorkamen. Die Königin! Und ein dunkelhaariges Mädchen. Atemlos beobachtete Mirita, wie Hanna Elira ins andere Boot half. Die Königin des Lichts lebte! Wieso half ihr jemand, der auf der Seite der Feinde stand?
»Schatten!« Der Ruf ließ Mirita zurücktaumeln, aber er galt nicht ihr. Sie musste mit ansehen, wie Hanna ins Wasser gestoßen wurde und wie sie dort gegen die Strömung kämpfte.
Nein, Hanna war zwar kein Schatten, aber der Fluss würde sie trotzdem in seiner grausamen Unerbittlichkeit umbringen.
Wie gelähmt blickte die junge Flusshüterin auf die Wellen, wo ihre Feindin unterzugehen drohte. Ihre Feindin? Wie lange schien das her! Mirita vermochte sich kaum an den Moment zu erinnern, als sie versucht hatte, ihre Rivalin zu töten. Ein anderes Leben, eine andere Zeit – vielleicht vor zwei, drei Stunden? Als sie noch daran geglaubt hatte, sie könnte Mattims Lichtprinzessin werden? Und er hatte bereits gewählt …
Ich hasse sie , heulte eine Stimme in ihr. Soll sie untergehen, sie hat mir Mattim weggenommen …
Mirita hatte nicht erwartet, dass ein Schatten dies fühlen konnte: dass es nun, da Akink sowieso verloren war, ihre Pflicht war, zu helfen.
Das ist, was du bist. Streiterin für das Licht. Du siehst nicht zu, wenn jemand untergeht. Du siehst nicht zu!
» Aber ich kann nichts tun«, sagte sie laut, mehr zu sich als zu irgendjemand sonst. »Ich kann nicht in dieses Wasser.«
Neben ihr spähte der Wolf durch die steinernen Streben des Geländers. Im nächsten Moment sammelte er sich zum Sprung und flog durch die Luft, schwarz und glänzend, und zum ersten Mal fiel ihr seine Schönheit auf. Klatschend durchbrach er die Wasseroberfläche, und Hanna streckte die Arme nach ihm aus.
Er zog sie in Richtung Ufer.
Mirita lief über die Brücke zurück. Das nächste Problem war absehbar: Die Kaimauer war ein unüberwindbares Hindernis. Eine tödliche Falle.
»Ich finde etwas, um euch da rauszuholen«, rief sie. »Haltet durch!«
Hannas Bewegungen wurden schwächer, ihre Hände rutschten ab. Wie lange konnte sie sich noch an den Wolf klammern? Mirita wandte sich hilfesuchend der Stadt zu.
»Hilfe!«, schrie sie, so laut sie konnte. Sie wunderte sich über die Kraft in ihrer Stimme. Obwohl sie eben noch gerannt war, musste sie nicht nach Luft ringen. »Hilfe!«
Einige Soldaten erschienen; auf den ersten Blick wusste sie nicht, ob Schatten oder Menschen. Erleichtert erkannte sie einige Angehörige der Tagpatrouille. Dieselben, die die Brücke erobert hatten. Wie schnell änderte sich die Perspektive!
»Kommt!«, rief sie ihnen zu. »Ich brauche Hilfe!«
Sofort hatten die Schatten die Situation erfasst, und wenig später brachte einer ein großes Fischernetz, das sie wie eine Schaukel herunterließen, indem sie es an beiden Enden festhielten. Es war so lang, dass sie es bis unter die Wasseroberfläche eintauchen konnten. Hanna ließ Bela los und vertraute sich dem Netz an. Die Männer zogen sie hoch, über die Kante, näherten sich ihr jedoch nicht. Zu Tode erschöpft schleppte sie sich ein Stück weiter, und ihre Retter holten nun den triefenden Wolf herauf, der sich sofort ausgiebig schüttelte. Jeden Tropfen fühlte Mirita wie einen glühenden Funken.
Hanna strich sich das nasse Haar aus der Stirn. Sie war so müde, dass sie kaum auf die Beine kam, aber niemand streckte die Hand nach ihr aus, um sie hochzuziehen. Wohlweislich hielten alle Schatten Abstand zu den beiden Geretteten. Mirita wich ebenfalls einen Schritt zurück.
»Geh nach Hause, Hanna«, sagte sie schroff, »bevor auch dich jemand zu dem macht, was wir alle sind. Bevor auch dich die Finsternis zerreißt. Akink ist verloren. Nun gibt es nichts mehr zu hoffen.«
»Der König ist noch da«, sagte Hanna. Und von irgendwoher kamen Worte zu ihr, die den bittersalzigen Duft von Blut und Kampf in sich trugen, denn wann immer sie diesen Satz aussprach, sah sie Mattim vor sich, im Hof von Kununs Haus, das Schwert in der Hand. »Licht heilt die Wunden, die die Dunkelheit geschlagen hat.« Sie wies auf die Burg, deren
Weitere Kostenlose Bücher