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Magyria 02 - Die Seele des Schattens

Titel: Magyria 02 - Die Seele des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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persönlich bedeutete.
    »Du bist der alte Mann, der mich erkannt hat«, sagte er langsam. »Du hast Alarm geschlagen. Niemand in ganz Akink kannte mein Gesicht. Außer dem Hüter der Bilder. Dir verdanke ich es, dass wir durch die Straßen gehetzt wurden, mein Bruder und sein Mädchen und ich. Von all den Bewohnern dieser Burg musste ich ausgerechnet dir begegnen.«
    Der Alte wich kaum merklich zurück.
    »Es tut mir leid, wenn ich Euch verärgert habe, Hoheit.«
    Diesen Moment durchlebten sie alle – wenn der Körper bereits wusste, was ihn erwartete, wenn der Instinkt schon nach Flucht schrie, während der Verstand den Menschen noch in Sicherheit wiegte, ihm vorgaukelte, so etwas könne nicht geschehen, nicht in dieser Welt.
    Es geschah in beiden Welten.
    Der Mann begann immer stärker zu zittern. Er war bleich geworden, so weiß, als hätte Kunun bereits sein Blut getrunken. Mittlerweile hatte er begriffen, dass er besser hätte schweigen sollen. Schweigen und zum König rennen, um ihn zu warnen.
    Der Jäger nahm die faltige Hand des alten Mannes in seine, eine Hand von Flecken übersät, runzlig und gekrümmt. Er führte sie an seine Lippen, als wäre es die Hand einer schönen Dame, der er seine Aufwartung macht.
    Der Schmerz hielt nur kurz an. Der Alte merkte, wie seine Empörung verrauchte. Im Sturz streckte er die Arme nach vorne, um sich abzufangen, und wusste, dass er sich etwas brechen würde. Das bedeutete, dass er im Bett liegen würde, bis das Ende kam, und dass es ganz nah war. Jetzt … Ein Augenblick endlosen Fallens. Hinein in eine andere Welt. Neu. Überwältigend. Eine riesige, wunderbare Welt.
    Er stand auf allen vieren. Winselte, zugleich erschrocken und fasziniert. Nichts tat ihm weh. Aus dem Boden stieg der vertraute Geruch längst vergangener Jahrzehnte auf, als hätten sie sich hier in den abgetretenen Steinfliesen gesammelt, der Bodensatz der Vergangenheit. Er schnüffelte und wedelte freudig mit dem Schwanz. Dann, noch ganz vorsichtig, tat er einen kleinen Sprung.
    »Kleines Geschenk, alter Mann.« Der Schattenprinz beugte sich hinunter, tätschelte ihm den Kopf und ging weiter.
    Mirita kam zu sich, die Wange auf dem rauen Pflaster. Sie spürte den kühlen Stein an ihrer Haut und wunderte sich einen kostbaren Augenblick lang, dann kam die Erinnerung zurück. Wie sie gerannt war, hinter ihr die Wölfe … dann der Sturz und der Schmerz. Sie hielt den Atem an, als sie mit der Hand nach ihrem Nacken tastete und durch den zerfetzten Stoff ihres Umhangs ihr eigenes zerrissenes Fleisch fühlte. Ihre Hand war dunkel und klebrig, als sie sie zurückzog.
    »Oh nein«, flüsterte sie.
    Aufstöhnend richtete sie sich auf und sah sich um. Jemand hatte sie von dort, wo sie gefallen war, bis hierher in den Schutz zwischen einer Mauer und einem Gebüsch gezogen. Vielleicht hätten die Soldaten sie sonst in den Fluss geworfen … wäre das nicht besser gewesen? Viel besser? Sie wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln, merkte, dass sie immer noch den Atem anhielt, und stieß die Luft aus.
    Dort lag der große schwarze Wolf. Sein aufmerksamer, dunkler Blick folgte jeder ihrer Bewegungen. Wie einen ausgefallenen Kopfschmuck trug er einen Pfeil mitten im Ohr. Mit der Pfote versuchte er daran zu ziehen, gab es auf und wandte sich ihr wieder zu. Sie hatte nicht die Absicht, ihm zu helfen. Das war der Wolf, der sie gebissen hatte, Mattims Wolf – wie oft hatte sie die beiden zusammen gesehen! Ihr eigenes Blut klebte noch an seiner Schnauze.
    Verloren. Die Hoffnungslosigkeit überfiel sie mit Macht. Ein einzelnes Horn klagte und verstummte, aus der Stadt hörte sie Geschrei und das Geklirr von Waffen.
    Verloren. Akink war dahin. Das Licht war gestorben. Und sie war ein Schatten.
    »Nein«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »nein, lieber sterbe ich. Lieber sterben, als das zu sein.«
    Sie legte die Hände auf ihre Brust und fühlte die Stille. Das Dunkel, das nun auch zu ihr gekommen war.
    »Nein«, wiederholte sie und schluckte das Schluchzen hinunter, »nein, nicht mit mir. Nein, nein.«
    Es war zu Ende. Alles. Es gab nichts mehr, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Vorbei. Endgültig.
    Sie wankte auf die Brücke zu. Der Wolf sprang auf die Füße und folgte ihr. Erst als sie sich über das Geländer beugte, schien er zu begreifen, was sie vorhatte, denn er knurrte und winselte und schlug die Zähne in ihr Gewand, um sie von dort wegzureißen.
    »Du hältst mich nicht auf. Das tust

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