Magyria 02 - Die Seele des Schattens
sondern ruhig und kraftvoll. »Lasst mich an Bord.« Sie wandte sich an Hanna. »So sollte es nicht enden. Ich dachte immer, wir würden siegen. Ich dachte, es könnte gar nicht anders ausgehen.«
»Mattim wollte nicht, dass es so kommt«, murmelte Hanna. Vielleicht würde seine Mutter das irgendwann begreifen und ihm verzeihen. Ihnen beiden.
Sie schoben sich neben das andere Boot; hilfreiche Hände fassten nach dem Rand.
»Du bist ein gutes Mädchen«, sagte Elira. »Geh zu Mattim.« Sie ergriff die ausgestreckten Hände, die ihr hinüberhalfen.
Hanna versuchte das Schaukeln des Bootes auszugleichen, als ein harter Stoß sie traf.
»Das ist sie!«, rief jemand. »Sie gehört zu den Schatten!«
Hanna stürzte nach hinten, dann schlug das Wasser über ihr zusammen.
Als sie prustend hochkam, waren die Boote schon in der Dunkelheit verschwunden. Das kalte Wasser durchweichte ihre Kleider und zog sie nach unten. Schwarz kam es ihr vor, schwarz wie die allertiefste Nacht, und sie fragte sich einen kurzen Moment, warum sie jemals geglaubt hatte, auf dem Grund dieses Flusses würde das Licht wohnen. Die Strömung riss sie mit sich, obwohl sie verzweifelt versuchte, aufs Ufer zuzuhalten. Vielleicht hätte sie eine Chance gehabt, wenn sie ausgeruht gewesen wäre. Doch nach der Flucht mit der Königin war sie am Ende ihrer Kraft. Ihre Hände griffen durchs Wasser, ohne Halt zu finden.
DREISSIG
Akink, Magyria
Mattim lief durch die Straßen. Er war sich seiner Waffen bewusst. Zähne. Krallen. Große, pelzige Pfoten. Der Schmerz hatte ihn verlassen, ihn in ein neues Leben hineingeboren: stark und jung, ein Wolf. Das neue Sein rann durch seine Glieder, Blut strömte durch seine Adern, floss wieder. Luft füllte seine Lungen, kräftige, dunkle Luft, geschwängert von beißendem Rauch und der silbrigen Lebendigkeit des Flusses. Unzählige Düfte drangen von allen Seiten auf ihn ein. Akink. Er hatte gewusst, dass es so riechen würde, hatte es immer geahnt.
Sein Herz schlug. Schnell und kräftig, sein Wolfsherz. Die Verzweiflung hatte darin keinen Raum. Aber seine Gedanken riefen einen Namen im Rhythmus seiner Schritte: Réka. Ré-ka …
An allen Ecken und Enden wurde gekämpft. Leute stürzten aus ihren Häusern, hinter ihnen die Verfolger, die nicht weniger menschlich aussahen als sie. Vielleicht waren es die Gesichter, die verrieten, wer ein Schatten war – Triumph in den Augen, ein Grinsen auf den Lippen, während die Akinker in ihrer Verzweiflung und Panik wie blind durch die Straßen flohen. Manchmal sah er Gestalten in dunklen Ecken verschwinden, und wenig später kamen Wölfe aus der Haustür und huschten davon.
Er duckte sich an eine Hauswand, als ein Trupp der Stadtwache vorbeimarschierte, und lief dann weiter zum Burgberg, immer bereit, sich zu verstecken. Den Gefechten auf der Straße wich er aus, stellte sich den Flüchtlingen und ihren Verfolgern nicht in den Weg, schlängelte sich so, als ginge ihn das alles nichts an, durch das Chaos.
Als ihm eine lanzenschwingende Schar Wächter entgegenkam, warf er sich herum und wählte einen anderen Weg. Er jagte eine steile Steintreppe hinauf und huschte durch einen Nebeneingang in der Burgmauer, den die Soldaten verwaist zurückgelassen hatten.
»Etwas ist schiefgegangen.« Der König stand am Fenster und blickte hinaus auf seine Stadt, aus der Rauch und Geschrei zu ihm emporstiegen. Dann wandte er sich dem Käfig zu. »Ganz und gar schiefgegangen.«
»Lassen Sie mich hier raus!« Réka kauerte in der Mitte ihres winzigen Gefängnisses. Die Eisenstäbe waren so heiß, dass sie sich nicht dagegenlehnen konnte. Wie ein wildes Tier, das bei jeder Berührung mit dem Zaun einen Elektroschock erhält, wagte sie kaum, sich zu bewegen. Die Hitze brannte in ihrem Körper und trieb ihr die Tränen in die Augen. Hatte Hanna ihr nicht erzählt, die Schatten stünden über dem Schmerz? Alle körperlichen Unpässlichkeiten wären nur Erinnerungen des Leibes an das, was er einmal gewesen war? Aber es gelang ihr nicht, nichts zu fühlen und die Pein schweigend herunterzuschlucken. Ganz und gar nicht. »Was ist mit Kunun? Wo ist er?«
Farank machte einen Schritt auf sie zu, und der Schmerz verdoppelte sich; mit einer Klarheit, die sie selbst überraschte, wusste sie plötzlich, warum sie so litt.
»Kommen Sie nicht näher, bitte! Gehen Sie weg!«
Der König blieb stehen, wo er war, und betrachtete sie mit undurchdringlichem Gesicht durch die Flammen.
»Dein Leben ist ihnen
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