Magyria 02 - Die Seele des Schattens
auf der Treppe saß und ihnen entgegenblickte mit einem Gesicht wie eine Schlafwandlerin.
Doch Réka hob abwehrend die Hand. »Du irrst dich«, sagte sie. »Ich lebe nicht – nicht mehr. Nicht so wie du.«
»Oh Réka.« Hanna konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen über die Wangen rannen. »Ich muss dich nach Hause holen. Irgendwie müssen wir es rückgängig machen. Vielleicht geschieht es jetzt. Vielleicht wird alles heil.«
»Das war auch Kununs Traum«, sagte Réka.
»Kununs Traum.« Da war etwas. Etwas, das Mattim gesagt hatte … Sie rief sich das Bild zurück. Das Verlies. Der König im weißen Gewand. Mattim, der flehte, der darum warb, dass die Schatten nach Akink durften.
» Wenn Licht und Schatten vereint sind, wird alles heil«, flüsterte sie. »Das ist es. Das ist sein Traum. Die Schatten in Akink. Licht und Dunkelheit beieinander. Aber nicht so, nicht im Kampf. Nur in der Versöhnung kann es geschehen.«
Réka setzte sich aufrecht hin.
»Das heißt, ich werde wieder ein Mensch? Ich werde geheilt?« Über Rékas Gesicht zog ein Sonnenaufgang, der sich sofort wieder verdüsterte.
»Der Sieg gehört uns – warum ist denn noch nichts passiert?«
»Weil es falsch läuft. Ganz falsch. Licht und Schatten können nicht auf diese Weise zusammenkommen.« Hanna schüttelte den Kopf. Da war noch etwas, gleich würde sie es wissen …
Der König in ihrer Zelle. Ganz nah. Sie konnte etwas spüren, das von ihm ausging, wie man an einem bewölkten Tag sagen konnte, wo die Sonne stand. Ein Strahlen, eine Wärme, eine Kraft, die bis ins Herz drang.
Es wird so kommen …
Finsternis.
» Nein«, dachte sie laut. »Wenn niemand mehr übrig ist aus der Familie des Lichts, wird es zu Ende sein. Dann gehen die Lichter aus, verstehst du? Es wird keine Heilung geben und keine wundersame Erlösung. Nur das Dunkel.«
»Wer behauptet das?«
»Der König«, antwortete Hanna. »Der König des Lichts. Er hat es mir gesagt.«
»Warum sollte er recht haben und nicht Kunun? Der König weiß auch nicht alles. Er irrt sich. Er hätte die Sache längst beenden können, wenn er die Vampire in die Stadt gelassen hätte.«
Nur die Finsternis. Sie erinnerte sich an Faranks Gesicht, an die abgrundtiefe Traurigkeit in seiner Stimme. Ich kann ihnen nicht verzeihen, ich darf nicht …
» Er hat an das geglaubt, was er gesagt hat.«
»Natürlich hat er das. Meinst du, er würde versuchen, seine eigenen Kinder umzubringen, wenn er nicht daran glauben würde?«
Hanna schloss die Augen, während sie nachdachte, während sie die Worte zu sich rief, die Gesichter. Mattim in der Zelle. Die Königin mit ihrer Geschichte. Ein Glas Wasser. Mattim, der vor dem Licht zu Boden ging.
Du würdest vor mir auf die Knie fallen, wenn du wüsstest, was du getan hast …
Eine Geschichte. Wölfe. Der Wolf wurde in die Wälder verbannt, und der erste König des Lichts gründete eine Stadt, um das Dunkel auszuschließen.
Die Wölfe mussten zurückkehren, und die Kinder des Lichts mussten ihnen entgegengehen. Sie mussten zusammenfinden, um heil zu werden.
Nur wie konnten sie heil werden, wenn die Wölfe das Licht auslöschten? Was blieb, wenn sie alle, ausnahmslos, Schatten wurden?
Hanna fühlte, wie ihr ein Schauer durch Mark und Bein ging. Sie öffnete die Augen und sah Réka an.
»Ich glaube, der König hat recht.«
»Aber Kunun …«
»Sie haben beide recht. Wölfe und Kinder des Lichts müssen zueinanderfinden. Jedoch nicht, indem die Schatten das Licht auslöschen. Das kann nicht der richtige Weg sein. Es wird in der Finsternis enden.«
Sie sprang auf. »Wir müssen sie warnen! Oh Gott, sie dürfen den König nicht verwandeln! Jeden, nur nicht den König!«
»Was passiert denn dann?«, fragte Réka zaghaft.
»Der König weiß es«, sagte Hanna. »Er weiß, wie es enden wird. In Finsternis. Réka, wo sind sie hin? Kommen wir zu spät? Wir müssen sie aufhalten! Unbedingt!«
»Ah«, sagte Kunun. »So treffen wir uns wieder.«
Farank stand an der Mauer, vor ihm ein Wolf, groß und langbeinig, mit einem Fell wie ein Kornfeld, ein Wolf mit ernsten grauen Augen.
»Mattim«, rief Atschorek und verzog das Gesicht. »Du alter Hund, bei dir geht aber auch alles schneller als bei anderen, wie? Musst du uns in allem überholen?«
Der König sah aus dem glaslosen Fenster hinunter auf die dunkle Stadt. Immer noch stiegen Schreie empor wie Luftblasen aus den Lungen eines Ertrinkenden. Die Nacht war weit fortgeschritten, im Osten kündigte
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