Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts

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machte. Dafür sorgte die simple Geometrie von 7er: Verdoppelte man seinen Suchradius, sank die Effektivität um das Vierfache. Das Seeufer war die entscheidende Stelle – wo immer sich Clarke im Augenblick befinden mochte, das war ihr Ziel. Je näher sie diesem Ziel kam, desto größer wurde die Zahl ihrer Gegner, was wiederum die Kehrseite des umgedrehten Quadrats war. Lubin wusste, dass die meisten seiner Leute davon überzeugt gewesen waren, sie ausschalten zu können, bevor sie das Wasser erreichte.
    Er war sich dessen allerdings nicht so sicher gewesen. Clarke verfügte nicht über die speziellen Fähigkeiten und die Ausbildung, mit denen selbst noch der schwächste ihrer Gegner ausgestattet war, und darüber hinaus weder über Mechfliegen noch sprechende Waffen, aber etwas besaß sie dennoch: Sie war schlau, und sie war tough, und sie verhielt sich nicht wie ein normaler Mensch. Sie schien sich nicht im Geringsten vor Schmerzen zu fürchten.
    Und sie war von einem Hass erfüllt, der reiner und vollkommener war als alles, was Lubin je erlebt hatte.
    Außerdem hatte sie den halben Mahlstrom auf ihrer Seite. Oder jedenfalls bis vor kurzem noch. Lubin fragte sich, ob sie sich inzwischen an ihr unwahrscheinliches Glück gewöhnt hatte. Begann sie bereits an ihre eigene PR zu glauben und hielt sich für unverwundbar? Wusste sie schon, dass sie wieder auf sich allein gestellt war?
    Hoffentlich nicht. Alles, was ihr Selbstvertrauen stärkte, konnte für Lubin nur von Vorteil sein.
    Burton glaubte immer noch nicht, dass sie das Risiko eingehen würde, sich dem Spießrutenlauf zu stellen. Burton wollte von oben herabsteigen und die Stadt unter Kriegsrecht stellen, diesen ganzen verdammten Ballungsraum abriegeln und bis zum nächsten Jahrtausend ein Haus nach dem anderen durchsuchen, wenn es sein musste. Burton besaß weder Geduld noch Raffinesse. pi*r² war ihm vollkommen gleichgültig. Man fing Fische nicht, indem man ein Netz über den Meeresboden zog; man legte das Netz an der Stelle aus, wo die Fische hinkommen würden, und dann wartete man.
    Allerdings glaubte Burton nicht, dass dieser spezielle Fisch zum Netz kommen würde. Clarke war schließlich nicht dumm. Sie musste sich lediglich ruhig verhalten und abwarten, bis ihre Gegner wieder verschwunden waren. Dieser Gedankengang wäre durchaus plausibel gewesen, wenn man nicht wusste, was Lubin wusste.
    Wenn man nicht wusste, dass Lenie Clarke ganz einfach Heimweh hatte.
    Die ferne Tiefe, die sie hatte verlassen müssen, erfüllte sie mit Sehnsucht, und auch wenn der Lake Michigan nur ein blasses Abbild jener Welt war, war er zumindest etwas. Hier gab es zwar keine Raucher, kein kristallklares Meerwasser, das abwechselnd heiß und kalt wurde, keine leuchtenden Ungeheuer, die einem den Weg wiesen – aber immerhin herrschte hier ein Druck von fünfzehn Atmosphären. Und es war dunkel und kalt, wenn man sich dicht am Grund hielt. Und der Schlamm und die Strömungen zerstreuten jede verräterische Wärmesignatur. Es könnte ausreichen, das wusste Lubin.
    Er war sich sicher, dass Lenie Clarkes Sehnsucht sie auf dem direktest möglichen Wege hierher führen würde. Das hatte er von dem Moment an gewusst, als er die Aufzeichnungen von dem ungewöhnlichen kleinen Ausbruch des Erregers in den Wäldern von Cariboo gesehen hatte. Ein Flecken Gebirgswald, der noch weniger Leben enthielt, als es normalerweise der Fall war. Etwas, das einmal ein Mann gewesen war, umklammerte schützend etwas, das einmal ein kleines Mädchen gewesen war. Die Mannschaften hatten gar nicht erst den See überprüft, sondern den Ort gleich niedergebrannt, wie sie es mit so vielen anderen Orten getan hatten. Erst auf Lubins Drängen hin – nachdem er sich etwas verspätet mit dem Was bisher geschah vertraut gemacht hatte – hatten sie noch einmal ein ROV zu dem See geschickt und den Grund untersucht. Erst da war jemandem aufgefallen, dass an einer Stelle in fünfzig Metern Tiefe das Geröll und das tote Holz durcheinandergewirbelt waren, an einem Ort, wo es eigentlich nur noch ein paar Insekten gab. Als sei etwas auf den Grund des Sees hinabgesunken und von ihm furchtbar enttäuscht gewesen. Es hatte im Untergrund gewühlt und gewütet, als wollte es sich einen Tunnel zum Kern der Erde selbst graben. Als Lubin diese Bilder gesehen hatte, hatte er Bescheid gewusst.
    Er hatte es damals gewusst, und er wusste es immer noch, denn er empfand genauso. Lenie Clarke war ein Fisch, der zu lange an Land