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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Streifen durchzogene, glatte graue Abhang ab. In regelmäßigen Abständen ragten die mit Gitterrosten verschlossenen Öffnungen der Regenwasserkanäle, aus denen geringe Mengen Schmutzwasser hervortröpfelten, aus der Verkleidung. Jede der Öffnungen war doppelt so hoch wie ein Mensch. Lubin schätzte die Größenverhältnisse ab und nickte zufrieden: Das Gitterwerk war zu eng, als dass sich jemand hätte hindurchquetschen können.
    Ein tief fliegender Helikopter huschte vorbei und besprühte das Wasser. Hinter ihm quollen die Wellen auf und erstarrten zu einem breiten Streifen gallertartigen Schaums. Lubin hatte angeordnet, dass das Seeufer von Lakeshore bis nach Meigs gelatiniert werden sollte. Der Sturm würde den Klebschaum vermutlich nach einer Weile in alle Himmelsrichtungen zerstreuen; sollte Clarke jedoch vorher versuchen, von irgendeiner Brücke zu springen, wäre sie darin gefangen wie eine Ameise im Honig. Ein schwimmender Pferch dümpelte an der dem Ufer abgewandten Seite der gelierten Zone im Wasser, eingerahmt von einer aufblasbaren Barriere, die wie eine Schlange ohne Knochen im Wasser schaukelte. Lubin drückte auf einen Knopf an der Seite seines Visors. Das Gehege wurde nahe herangezoomt.
    Da!
    Nur einen Augenblick lang war ein glatter grauer Rücken zu sehen gewesen. Metallische Inlays blitzten dunkel an der Vorderkante der Rückenflosse auf. Und noch einer. Insgesamt waren es ein halbes Dutzend, obwohl man nie mehr als einen von ihnen an der Oberfläche sah.
    Der Wind erstarb.
    Lubin nahm das Headset ab und blickte sich mit bloßem Auge um. Es war kurz vor Mittag und so dunkel wie bei einer Sonnenfinsternis. Über ihm brodelte der Himmel in lautlosem, bedrohlichem Zeitlupentempo.
    Ein ratterndes Dröhnen begann sich in der Ferne kaskadenartig durch die Stadt auszubreiten: Sturmläden, die in tausenden euklidisehen Schluchten geschlossen wurden. Es klang, als würden die Gebäude selbst applaudieren, weil irgendein Vorhang endlich aufgezogen wurde. Ein einzelner vollkommener Regentropfen von der Größe von Lubins Daumennagel platschte zu seinen Füßen auf den Asphalt.
    Er drehte sich um und betrat die Kommandobaracke.
     
    Auch dieser enge Raum wurde von einer halluzinogenen Tischplatte beherrscht. Lubin betrachtete das Schachbrett: Die Sicherheitskräfte bildeten zwei Arme, die im Nordwesten von der Grand Avenue und im Südwesten von der Eisenhower ausgehend vom Seeufer ausgestreckt waren. Ein Trichter, der Lenie Clarke an einen bestimmten Ort leiten sollte. Zweieinhalb Klicks westlich des Uferdamms bildeten eine Reihe von Mechfliegen und Exoskeletten eine Nord-Süd-Linie und begannen, die Fußgängerbrücken und Tunnel abzuriegeln.
    Eine Fläche von siebeneinhalb Quadratkilometern war durch diese Grenzlinie von der restlichen Stadt abgeschnitten. Innerhalb und außerhalb des Sperrgebiets floss der Verkehr an der Oberfläche zwar weiter, strömte jedoch nicht durch es hindurch . Das Rapitrans-Netz war in dem gesamten Gebiet stillgelegt worden. Es dauerte etwas länger, bis auch der Informationsstrom zum Erliegen kam …
    – anscheinend schon wieder so eine gottverdammte Quarantäne. Ich werde es also zu unserem Treffen um acht Uhr dreißig doch nicht schaffen. Hallo? Hallo? Verflucht noch mal …
    … doch irgendwann hielten sich selbst die Elektronen an die neuen Grenzlinien. Schließlich war bekannt, dass die Zielperson aus diesem Lager häufig Unterstützung erhielt.
    Aber es reichte nicht aus, einfach ein Parallelogramm aus der Welt herauszuschneiden. Lenie Clarke war immer noch auf freiem Fuß, inmitten von mehreren hunderttausend Schafen. Lubin ließ Burton für eine Weile von der Leine.
    In einer Ecke der Kommandobaracke arbeitete eine blonde Peruanerin an einer Telemetriekonsole. Lubin ging zu ihr hinüber, während sich Burton an der Anwendung von nackter Gewalt weidete. »Kinsman. Wie geht's den Delfinen?«
    »Sie beschweren sich über den Lärm. Süßwasser-Einsätze mögen sie einfach nicht. Da fühlen sie sich so schwer.«
    Ihre Konsole war eine Matrix aus den verschiedenen Blickwinkeln der Kameras, die in die Rückenflossen der Delfine eingelassen waren. Im unteren Bereich der Fenster war jeweils ein grauer Halbmond zu sehen, wo die Melonen der Tiere ins Bild hineinragten. Geisterhafte Gestalten glitten durch die grüne Dunkelheit, die dahinter lag.
    Sie waren unablässig in Bewegung. Diese Ungeheuer brauchten keinen Schlaf; gelegentlich nickte mal die eine Hirnhälfte und dann

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