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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Zerstörung, die sich Gott weiß wie weit in alle Richtungen erstreckte – all das war nur Kollateralschaden. Der Hammer selbst, das wusste sie, war auf sie gerichtet gewesen.
    Bei dem Gedanken daran musste sie lächeln.

Fabeln des Wiederaufbaus
    Gewaltige glitzernde Wolkenkratzer, die sich schüttelten wie nasse Hunde. Sturzbäche aus zersplittertem Glas von fünfzig Stockwerken voller Fensterscheiben. Straßen verwandelten sich in Schlachtfelder. Tausende wurden innerhalb weniger Sekunden fein säuberlich zerstückelt. Und dann, als das Erdbeben vorbei war, die Schnitzeljagd: Puzzles aus Fleisch und Blut mit viel zu vielen fehlenden Teilen. Ihre Anzahl stieg aus Gründen der Logistik mit der Zeit immer weiter an.
    Irgendwo inmitten all der Trümmer und der Fliegen und der Berge augenloser Leichname erwachte Sou-Hon Perreaults Seele und stieß einen Schrei aus.
    So hätte das nicht passieren sollen. Eigentlich hätte es überhaupt nicht passieren sollen. Die Katalysatoren unterdrückten all die überholten, unpassenden Gefühle. Die chemischen Verbindungen, aus denen sie bestanden, wurden aufgelöst, bevor sie auch nur die Vorstufe ihrer Entstehung erreichen konnten. Man watete nicht als vollkommen intakter Mensch durch einen Ozean aus Leichen, und wenn auch nur indirekt.
    Als es sie traf, war sie gerade über die ganze Landkarte verstreut. Ihr Körper befand sich sicher zu Hause in Billings, mehr als tausend Klicks vom Katastrophenort entfernt. Ihre Sinne schwebten vier Meter über den Überresten der Granville Street Bridge in Hongcouver, im Panzer einer Portugiesischen Galeere verborgen, die einen halben Meter lang war. Und ihr Verstand war wieder an einem anderen Ort und löste einfache Additionsaufgaben mit einer Liste von Körperteilen.
    Aus irgendeinem Grund machte ihr der Gestank frischer Verwesung zu schaffen. Perreault runzelte die Stirn: Normalerweise verspürte sie kein so flaues Gefühl im Magen. Sie konnte sich das nicht leisten – die aktuelle Zahl der Todesopfer war nichts im Vergleich zu dem, was die Cholera an Menschenleben fordern würde, wenn die ganzen Leichenteile nicht bis zum Wochenende fortgeschafft waren. Sie regelte den Kanal herunter, obwohl ein verbesserter Geruchssinn die beste Methode war, um unter Schutt begrabene biologische Bestandteile aufzuspüren.
    Inzwischen setzten ihr auch die Bilder zu. Sie konnte nicht genau sagen, was es war. Sie hatte die Infrarotsicht eingeschaltet, für den Fall, dass ein paar der Leichen noch warm waren – verdammt, womöglich war da unten sogar noch jemand am Leben –, doch die Falschfarbdarstellung schlug ihr auf den Magen. Sie schaltete sich durch das gesamte Spektrum, von tiefem Infrarot bis zum Röntgenbereich, und entschied sich schließlich für die guten alten sichtbaren elektromagnetischen Wellen. Damit ging es ein wenig besser. Allerdings hätte sie die Welt nun ebenso gut durch menschliche Augen betrachten können, wodurch sich ihre Trefferquote nicht unbedingt erhöhte.
    Und diese verfluchten Möwen. Himmelherrgott, man kann gar nichts hören über all dem Lärm.
    Sie hasste Möwen. Man konnte sie nicht zum Schweigen bringen. Sie wurden scharenweise von Szenerien wie dieser hier angezogen und veranstalteten wahre Fressorgien, die selbst Haie in die Flucht schlugen. Drüben, auf der anderen Seite von False Creek zum Beispiel, lagen die Leichen so dicht gestapelt, dass die Möwen sogar wählerisch wurden. Sie pickten nur die Augen heraus und überließen alles andere den Würmern. Seit der Tongking-Überschwemmung vor fünf Jahren hatte Perreault nichts Vergleichbares mehr gesehen.
    Tongking. Bilder vom Schauplatz dieser Katastrophe tauchten sinnloserweise in ihrem Hinterkopf auf und lenkten sie mit Erinnerungen an ein Blutbad ab, das bereits ein halbes Jahrzehnt zurücklag.
    Konzentrier dich , sagte sie sich.
    Doch aus irgendeinem Grund konnte sie nicht mehr aufhören, an den Sudan zu denken. Das war vielleicht eine Sauerei gewesen. Die sich außerdem durchaus hätte verhindern lassen. Schließlich kann man an einem Fluss dieser Größe keinen Staudamm errichten, ohne irgendjemanden weiter flussabwärts zu verärgern. Eigentlich war es ein Wunder gewesen, dass die Ägypter zehn Jahre gewartet hatten, ehe sie das verdammte Ding bombardiert hatten. Das in einem Jahrzehnt angestaute schlammige Wasser hatte sich innerhalb von Sekunden in einem gewaltigen Schwall in den Fluss ergossen; und als der Wasserstand schließlich gesunken war, war

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