Maienfrost
schickten Sie mir wenig später mit dem Vermerk versehen zurück, dass Sie sich, nach gründlichem Studium der Unterlagen, außerstande sähen, mir bei der Klärung des Falles behilflich zu sein.«
»Ich weiß! Es ging darum, dass die Opfer mit gravierenden Schnitt- beziehungsweise Stichverletzungen aufgefunden wurden. Der Obduktionsbericht hingegen erbrachte, dass diese ihnen erst nachträglich zugefügt worden und somit nicht als Todesursache in Betracht gezogen werden konnten. Äußerlich ansonsten unversehrt, ergaben sich keinerlei stichhaltige Anhaltspunkte, die ein Ableben aus medizinischer Sicht erklärlich erscheinen ließen.«
Leona nickte und fragte sich insgeheim, worauf der Professor mit seinen Fragen abzielte. Doch schon sein nächster Satz brachte ihr diesbezüglich Klarheit.
»Sicher wundern Sie sich«, fuhr der Arzt in seinen Ausführungen fort, »weshalb ich mich nun, nach all der Zeit an Sie wende. Um es vorweg zu nehmen, ich tue es nicht, um Ihnen die Lösung des Falles zu präsentieren, sondern vielmehr, um Sie um Hilfe zu bitten.«
Leona war erstaunt und sprach das auch aus. »Ich wüsste nicht, wie ich Ihnen von Nutzen sein könnte«, warf sie ein. »Schließlich bin ich selbst noch immer auf der Suche nach einer plausiblen Erklärung.«
»Das ist mir durchaus bewusst. Der Grund, weshalb ich mich dennoch an Sie wende, liegt mehr in den äußeren Umständen der Tat begründet. Um zu verstehen was ich meine, ein Satz vorweg: ich erhielt gestern Abend einen Anruf. Am Apparat war ein gewisser Doktor Probst. Er stellte sich mir als Kollege vor und bat mich um meine Meinung zu einem, besser gesagt zwei, seiner aktuellen Fälle. Der arme Mann schien mit seinen Nerven am Ende zu sein.
Im Laufe unseres Gesprächs erzählte er mir, dass man ihn mit der Obduktion der erst kürzlich im Jasmund gefundenen Frauenleiche beauftragt hatte. Nachdem vor wenigen Tagen ein weiteres Opfer, das gleichfalls wieder auf seinem Tisch landete, zu beklagen war, nimmt die Polizei nun an, dass es sich in beiden Fällen um den Beginn einer Serie von Frauenmorden, vermutlich sogar Ritualmorden, handeln könnte. Vielleicht haben Sie in der Zeitung darüber gelesen. Falls nicht, dann sollten Sie wissen, dass die bisher gefundenen Leichen mehrere Gemeinsamkeiten verbanden: nachdem ihr Mörder sie getötet und ihnen Brautkleider angelegt hatte, schnitt er ihnen die Kehle durch. Auch dem Typ nach glichen sich die Opfer. Sie waren beide klein und zierlich, hatten schwarzes Haar und ein südländisches Aussehen. Polizei und Rechtsmedizin stehen vor einem Rätsel.«
Leona glaubte sich vage daran zu erinnern davon gelesen zu haben. Ihren Fall mit dem der Toten auf Rügen in Verbindung zu bringen, darauf allerdings wäre sie nie und nimmer gekommen. Professor Hagen besaß ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
»Nachdem ich das Telefonat beendet hatte«, fuhr der Mediziner in seinen Ausführungen fort, »konnte ich lange Zeit nicht einschlafen. Irgendetwas an dem von Doktor Probst geschilderten Sachverhalt kam mir bekannt vor. Gegen morgen signalisierte mir mein Unterbewusstsein dann die Lösung, indem es mir unser Gespräch in Erinnerung rief. Der Zufall wollte es, dass ich heute Morgen bei der Durchsicht der Teilnehmerliste dieser Tagung auf Ihren Namen stieß. Wie Sie sehen, suchte und fand ich Sie.«
»Was Sie mir da eben erzählt haben, lässt tatsächlich auf einen möglichen Zusammenhang zwischen dem damaligen und den jetzigen Vorfällen schließen. Wenn dem so wäre, würde ich gerne mehr darüber erfahren.«
»Das hoffte ich«, gestand Professor Hagen. Noch während er sprach, zog er aus der Innentasche seines Jacketts einen Zettel hervor, der Anschrift und Telefonnummer des in Stralsund lebenden Pathologen enthielt und übergab ihn Leona. »Angesichts der Situation denke ich, dass Sie sich sofort mit Doktor Probst in Verbindung setzen sollten. Wer weiß, vielleicht gelingt es Ihnen ja, mithilfe der jetzigen Ereignisse das Rätsel von damals zu lösen. Ich wünsche es Ihnen und würde mich freuen, wenn Sie mich diesbezüglich auf dem Laufenden hielten. Leider habe ich momentan nicht die Zeit, mich persönlich um die Angelegenheit zu kümmern. Ich werde morgen zu einem Fachkongress in Boston erwartet.«
Professor Hagen stand auf, gab seiner Kollegin die Hand und verabschiedete sich von ihr.
Leonas Gedanken überschlugen sich und sie bemühte sich um einen klaren Kopf.
Um ungestört nachdenken zu können, beschloss sie, den
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