Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maienfrost

Maienfrost

Titel: Maienfrost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Schwarz
Vom Netzwerk:
Bild. Leona besann sich noch genau darauf, welche Empfindungen der Anblick des kunstvollen Giebels und des malerischen Rundturms in ihr ausgelöst hatten. Jedes Mal, wenn sie ihr Weg am Schloss vorbeiführte, erschien ihr dieser Ort als der ideale Ausgangspunkt, um die Märchen ihrer Kindheit wiederauferstehen zu lassen. Von ihren Erinnerungen eingeholt, bog sie von der Hauptstraße ab. Nun trennten sie nur noch wenige Meter von ihrer Wohnung.
    Der kurze Abstecher bei ihr zu Hause diente lediglich dazu, die Koffer aus- und gleich darauf wieder einzupacken. Nachdem Leona mit der Bitte, sich um ihre Post und die Grünpflanzen zu kümmern, den Schlüssel bei ihrer Nachbarin hinterlegt hatte, brach sie am nächsten Morgen, ihrem ersten Ferientag, gen Norden auf.
    Bis zur Autobahnabfahrt Rostock kam sie zügig voran, danach nur noch im Schritttempo. Als sie das Stadtzentrum von Stralsund erreicht und sich in Richtung des Rügendamms eingeordnet hatte, kam der Verkehr beinahe zum Erliegen. Allmählich begannen Leonas Nerven blank zu liegen. Zur Untätigkeit verurteilt im Stau zu stehen, war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Zudem litt sie unter der brütenden Hitze. Sie nahm sich vor, beim nächsten Autokauf darauf zu achten, dass der Wagen eine Klimaanlage besaß.
    Vom Pech verfolgt, verfuhr sie sich dann auch noch. Niedergeschlagen steuerte sie die nächste Parklücke an. Dort griff sie sich ihr Handy, um sich bei Doktor Probst nach dem Weg zu erkundigen und ihm ihre, wie sie hoffte, baldige Ankunft anzukündigen. Es war bereits später Nachmittag, als sie sichtlich geschafft, die angenehm kühlen Kellergewölbe, in denen die Rechtsmedizin untergebracht war, betrat. Der Pathologe erwartete sie bereits. Nachdem sie einander begrüßt hatten, bat er die junge Frau in sein Büro.
    Doch Leona zögerte: »Bevor wir die Unterlagen bemühen, würde ich einen Blick auf das Opfer werfen wollen. Nennen Sie es Intuition, aber ich habe das unbestimmte Gefühl, dass der erste Eindruck von eminenter Bedeutung sein könnte«, bekannte sie.
    Alexander Probst konnte die Ungeduld seiner Kollegin nachvollziehen. Schließlich war sie nicht hunderte von Kilometern gefahren, um sich über bloße Theorien mit ihm auszutauschen. Er verstand, dass sie sich mit eigenen Augen ein Bild über den vorliegenden Fall verschaffen wollte.
    »Na dann kommen Sie mal mit«, forderte er sie auf, ihm zu folgen. Gemeinsam gingen sie einen sterilen, weiß gekachelten Gang entlang, an dessen Ende sich der Kühlraum der für die Rechtsmedizin bestimmten Leichen befand.
    Leona fröstelte, als sie ihn betrat. Nachdem sich ihre Augen an das grelle Neonlicht gewöhnt hatten, fiel ihr Blick auf eine Reihe Edelstahl glänzender Schließfächer. Zielgerichtet steuerte Doktor Probst eines davon an, öffnete es und zog die dahinter befindliche Bahre hervor. Nachdem er das Laken, das den darauf liegenden Leichnam verhüllte, bis in Brusthöhe zurückgeschlagen hatte, trat er einen Schritt zur Seite.
    Leonas Blick fiel auf das totenblasse Antlitz einer hübschen jungen Frau. Krauses schwarzes Haar umgab ein schmales Gesicht mit einem zart geschwungenen Mund und hohen Wangenknochen. Ein hässlicher tiefer Schnitt, der ihren Kopf fast vollständig vom Rumpf abgetrennt hatte, zog sich quer durch ihre Kehle.
    Noch während sie wie hypnotisiert auf die sterblichen Überreste von Lisa Ahrens starrte, drängte sich ihr der Vergleich mit Carmen Austen auf. Jener Toten, die sie nur dem Bild nach kannte. Selbst für einen Laien wären die, beide Fälle verbindenden Gemeinsamkeiten – die Art der Verletzung und der gleiche Frauentyp – unübersehbar gewesen.
    Dieser Meinung schloss sich auch Doktor Probst an, nachdem er sich mit Leona in sein Büro zurückbegeben und das Tatortfoto, auf dem Carmen Austen zu sehen war, betrachtet hatte. »Diese Ähnlichkeit ist erstaunlich, wirklich erstaunlich«, pflichtete er seiner Kollegin nachdenklich bei.
    Noch während er sprach, entnahm Leona ihrer Aktenmappe einen Umschlag und reichte ihn dem Arzt: »Um die Befunde abgleichen zu können«, sagte sie, »habe ich Ihnen eine Kopie des von meinem Großvater erstellten Autopsieberichts mitgebracht.«
    Der Pathologe nahm die Unterlagen dankend in Empfang. Im Gegenzug schob er ihr einen Stapel vor sich auf dem Schreibtisch liegender Akten zu. »Diese Ordner beinhalten die vorläufigen Befunde der beiden von mir obduzierten Opfer. Der Leichnam von Lea Goldbach wurde auf Anweisung der

Weitere Kostenlose Bücher