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Maienfrost

Maienfrost

Titel: Maienfrost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Schwarz
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Tagungsort zu verlassen und zum Hotel zurückzukehren.
    Auf ihrem Zimmer angelangt, wählte sie die Nummer von Doktor Probst. Nachdem die Verbindung zustande gekommen war und Leona sich vorgestellt hatte, setzte sie ihren Gesprächspartner von ihrer Unterhaltung mit dem Professor in Kenntnis. Danach tauschten sie sich über ihre Fälle und deren Gemeinsamkeiten aus. Als Leona das Telefonat beendet hatte, stand ihre Entscheidung fest. Sie würde nach Stralsund fahren.
    Kaum war ihr Entschluss gefasst, räumte sie das Zimmer, beglich die Rechnung und verließ das Hotel. Mit ihrem in der Tiefgarage geparktem Ford Fiesta fuhr sie nach Netzschkau zurück, jener kleinen vogtländischen Stadt, die nunmehr seit sieben Jahren ihr Zuhause bildete. Das von ihr bewohnte Mietshaus, in dem sie in einer gemütlichen Mansardenwohnung Quartier bezogen hatte, befand sich am Ortsrand. Vor ihrer Haustür war in den letzten Jahren ein altersgerechter Wohnpark in Regie der Diakonie entstanden. Jedes Mal, wenn Leona die an einen bewaldeten Hang geduckte Anlage, die sich über mehrere Wohnblocks erstreckte, betrachtete, wünschte sie sich, auch einmal so liebevoll umsorgt alt zu werden. Die von Burgen und Schlössern geprägte Landschaft, die eng mit der Geschichte der dem Vogtland seinen Namen verleihenden Vögte zusammenhängt, war dazu angetan, sich wohlzufühlen. Netzschkau Höhen, bis weit in den Herbst hinein von farbenprächtigen Bergwiesen und Mischwäldern umgeben, boten einen atemberaubenden Blick auf die im Tal liegende Göltzschtalbrücke. Von ihrem Arbeitszimmer aus konnte Leona ein Teilstück dieses monumentalen, weit über die Grenzen des Vogtlands hinaus bekannten Bauwerkes bewundern. Dieser Ausblick gab letztendlich auch den Ausschlag, dass Leona und ihr damaliger Freund, ein aus Netzschkau stammender Rechtsanwalt, sich für diese Wohnung entschieden. Ein melancholischer Ausdruck trat in ihre Augen, als sie sich an den Tag ihres Einzugs erinnerte. Das alles schien eine Ewigkeit her zu sein. Rüdigers wegen hatte sie ihre Zelte in der sächsischen Landeshauptstadt abgebrochen, um ihm in seinen Heimatort zu folgen. Sie hatte Rüdiger Ortmann während eines Wanderurlaubs auf den Kanaren kennen gelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Seinetwegen war sie bereit gewesen, alles, was ihr bisheriges Leben ausgemacht hatte, aufzugeben. Einem glücklichen Zufall war es zu verdanken, dass sie bereits kurz nach ihrem Umzug wieder eine Stelle in der Rechtsmedizin fand. Das Glück schien perfekt zu sein. Zumindest bis zu dem Tag, an dem Rüdigers Arzt ihm mitteilte, dass ein bösartiger Tumor schuld an seinen in letzter Zeit gehäuft auftretenden Kopfschmerzen sei. Was folgte, waren Jahre der Ungewissheit und Qual. Die ganze Zeit über hielt die Hoffnung auf Genesung sie aufrecht. Es war ein beständiges Wechselbad der Gefühle. Doch am Ende hatte die Krankheit gesiegt. Es hatte lange gedauert, bis Leona sich mit ihrem Schicksal abfinden und ins Leben zurückkehren konnte. Die beiden hinter ihr liegenden Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen. In der Zeit nach Rüdigers Tod hatte sie oft erwogen, nach Dresden zurückzukehren, weil sie glaubte, hier immer wieder aufs Neue von der Vergangenheit eingeholt zu werden. Doch irgendwann bemerkte sie verwundert, dass die Erinnerung auch etwas Tröstliches sein konnte. Leona fühlte sich hier wohl. Sie konnte sich noch genau ihres ersten Eindrucks besinnen, den sie von dem kleinen verschlafenen Ort, dessen Mittelpunkt der Marktplatz bildete, gewonnen hatte. Nie würde sie vergessen, wie verwundert sie über die mittels Einbahnstraßenregelung getroffene Verkehrsführung war. Es war ihr wie ein Paradoxum erschienen. Sie hätte damals einen Eid darauf geschworen, von allein nie wieder dem für sie im ersten Moment unentwirrbaren Geflecht von Straßen und Gassen entfliehen zu können. Doch mit der Zeit stellte sie fest, dass es gar nicht so schlimm war, wie es auf den ersten Blick schien. Sah man von dieser Besonderheit ab, hatte Netzschkau durchaus auch seine Reize. Leona brauchte dabei nur an das aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammende Schloss zu denken, an dem sie soeben vorbeigefahren war. Auch ohne großes Kunstverständnis war zu erkennen, dass es sich dabei um ein Kleinod der Baukunst handelte. Geprägt von den Stilelementen der sächsischen Spätgotik bot das weiß getünchte Residenzschloss der einstigen wettinischen Landesherren mit seinen rot abgesetzten Fenstern ein beeindruckendes

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