Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maienfrost

Maienfrost

Titel: Maienfrost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Schwarz
Vom Netzwerk:
werfend, vergewisserte er sich, dass ihm noch jede Menge Zeit zur Verfügung stand, um den bereits erkaltenden Leichnam herzurichten und sich seiner zu entledigen.
    Zu diesem Zweck bettete er die sterblichen Überreste der jungen Frau auf die Ladefläche des Transporters. Dann zog er sie aus. Nach nur wenigen Handgriffen lag sie splitternackt vor ihm. Sie betrachtend, nahm sein Blick einen lüsternen Ausdruck an. Ihre kleinen festen Brüste erregten ihn. Einem Reflex folgend, barg er sein Gesicht an ihrem Busen. Begehrlich nahm er den zarten Duft und die noch immer vorhandene Wärme des Frauenkörpers in sich auf. Dabei entrang sich seiner Kehle ein animalisch anmutender Laut: ein Laut, der von explodierender Lust und unsäglicher Pein gespeist wurde.
    Wieder bei Sinnen begann er damit, ihr die für sie bereitgelegten Sachen anzuziehen. Die Tote, als Braut hergerichtet, den Augen der Öffentlichkeit zu präsentieren, war dabei für ihn von unverzichtbar ritueller Bedeutung.
    Zunächst streifte er ihr ein blütenweißes Hochzeitskleid über, das ihren nackten Körper wie eine zweite Haut umschloss. Es passte perfekt. Selbst der Reißverschluss ließ sich mühelos schließen. Auch die hochhackigen Pumps, in die er im Anschluss daran ihre Füße presste, schienen diesmal die richtige Größe zu besitzen. Der Spitzenschleier, den er dann in ihrem Haar befestigte und die Lilie zwischen ihren Händen vervollständigten sein Meisterstück. Bevor er Lisa Ahrens Leichnam in der Vertiefung versenkte, warf er einen letzten prüfenden Blick auf sein Kunstwerk. Damit zufrieden schlug er die Folie, mit welcher der Hohlraum, in dem sie sich nun befand, ausgelegt war, über ihr zusammen. Um seine makabere Fracht fremden Blicken zu entziehen, hatte er eine passende Sperrholzplatte angefertigt, die er nun auf der Ladefläche des Transporters befestigte. Perfekter hätte er die Leiche nicht tarnen können.
    Kurz vor Mitternacht verließ er die Garage. Um diese Uhrzeit herrschte auf den Straßen noch immer so viel Verkehr, dass er davon ausgehen konnte, mit seiner Fuhre nicht aufzufallen.
    Diesmal steuerte er den Südosten des knapp eintausend Quadratkilometer großen Eilands an. Eine reichliche Stunde später parkte er seinen Wagen am Fuße des Tempelberges, um im Schutz üppiger Laub- und Nadelwaldungen seinen Beobachtungsposten zu beziehen. Weit und breit waren keinerlei Geräusche zu vernehmen. Lediglich die nachtschwarze Unendlichkeit des von funkelnden Sternen bedeckten Firmaments dehnte sich über der seeumsäumten Granitz. Mithilfe eines Nachtglases erforschte er die Umgebung. Der sich durch den hügeligen Buchenwald nach oben schlängelnde Pfad, der zum Jagdschloss führte, das sich einst einer aus der Fürstenfamilie derer zu Putbus für sich und seine Gesellschaft errichten ließ, lag einsam und verlassen vor ihm. Er wartete bis kurz nach drei. Dann fuhr er los, um sich Lisa Ahrens sterblicher Überreste auf der von ihm vorbestimmten Weise zu entledigen.
     
    Am Morgen des dreiundzwanzigsten Juli, genau eine Woche nach dem Mord an Lea Goldbach, fand Gero Hauser, ein pensionierter Revierförster aus Lancken-Granitz die nächste Leiche. Weil er seit dem Tod seiner Frau unter Schlaflosigkeit litt, war er schon in aller Herrgottsfrühe mit seinen Jagdhunden, zwei braunen Irish Settern mit prächtig glänzendem Fell, zu einem Spaziergang aufgebrochen. Es war kurz nach sechs Uhr früh, als er nach einem langen beschwerlichen Aufstieg den achtunddreißig Meter hohen Turm des 1837 von Karl Friedrich Schinkel geplanten Jagdschlosses Granitz vor sich aufragen sah. Als er aus dem Wald heraustrat, ließ die Morgensonne das in der Blütezeit des Klassizismus errichtete Bauwerk, eines der begehrtesten Ausflugsziele für Gäste aus nah und fern, in seiner ganzen Schönheit erstrahlen.
    Seinen Hunden, die, Witterung aufnehmend, plötzlich wie wild an ihren Leinen zu zerren begannen, folgend, erreichte Gero Hauser nach wenigen Metern den Vorplatz des Schlosses. Von dort führte eine breite Treppe nach oben zum Hauptportal, das gleichzeitig als Museumseingang diente. In den für den Publikumsverkehr freigegebenen Räumen befanden sich die Geweih- und Waffensammlungen der Fürsten von Putbus. Im Anschluss an den Rundgang bot sich die Möglichkeit, den mit Zinnen bestückten Mittelturm über eine kunstvoll gefertigte gusseiserne Wendeltreppe zu erklimmen. Gipfelstürmer, die sich von dem beschwerlichen Aufstieg nicht abschrecken lassen, werden,

Weitere Kostenlose Bücher