Maigret 17
gelaufen?«
Maigret war von alledem ein wenig beklommen und wollte an etwas anderes denken. Er war am Hafen stehengeblieben. Eine leichte Brise kräuselte kaum sichtbar die Wasseroberfläche.
Die kleinen Yachten und die Regattasegel lagen hinter ihm. Zehn Meter vor sich sah er einen großen weißen Dampfer, der sicher einem Pascha gehörte; ein Matrose zog gerade die rote Flagge mit dem Halbmond ein.
Davor lag eine Yacht von etwa vierzig Metern Länge, auf deren Heckseite mit Goldbuchstaben stand: ›Ardena‹.
Kaum war ihm der Schwede eingefallen, der bei Jaja gegessen hatte, da entdeckte er ihn auch schon, als er den Kopf hob, auf der Brücke, wie er mit weißen Handschuhen ein Tablett mit Teegeschirr auf ein Rohrtischchen stellte.
Der Besitzer lehnte an der Reling, in Begleitung von zwei jungen Frauen. Er lachte und zeigte dabei herrliche Zähne. Ein drei Meter langer Laufsteg trennte Maigret von ihnen, er zuckte die Achseln und betrat den Steg, und er hätte fast gelacht, als er sah, wie der Steward erschrocken das Gesicht verzog.
Solche Momente gibt es. Man unternimmt plötzlich irgend etwas, nicht, weil es einen bestimmten Zweck hätte, sondern nur, um überhaupt etwas zu tun, oder auch, um sich selbst am Nachdenken zu hindern.
»Verzeihung, Monsieur …«
Der Besitzer lachte jetzt nicht mehr. Ebenso wie die beiden Frauen stand er Maigret zugewandt da und wartete.
»Ich hätte gern eine Auskunft. Kennen Sie einen gewissen Brown?«
»Hat er ein Schiff?«
»Er hatte eins. William Brown …«
Maigret wartete kaum die Antwort ab.
Er betrachtete den etwa fünfundvierzigjährigen, ausgesprochen aparten Mann, der vor ihm stand, zwischen den beiden Frauen, die unter dem Kleid fast nichts anhatten.
Und er dachte:
Das war Brown auch einmal! Auch er hatte sich mit hübschen Frauen in raffinierten Kleidern umgeben, die sich bis in die Einzelheiten ihrer Toilettenkünste darauf verstanden, verführerisch zu wirken. Er führte sie zum allseitigen Vergnügen in kleine Nachtlokale aus und spendierte Champagner für alle.
Mit starkem Akzent bekam er die Antwort:
»Wenn es der Brown ist, den ich meine, dann hatte er früher mal das große Schiff, das letzte dort – die ›Pacific‹. Aber die ist schon zwei- oder dreimal weiterverkauft worden …«
»Ich danke Ihnen.«
Dem Yachtbesitzer und seinen beiden Begleiterinnen war nicht klar, was Maigret mit seinem Besuch gewollt hatte. Sie sahen ihm nach, wie er sich entfernte, und der Kommissar hörte ein kurzes Frauenlachen.
Die ›Pacific‹ also … Es lagen nur noch zwei Schiffe ihrer Größe im Hafen, eines davon war das, das unter türkischer Flagge segelte.
Die ›Pacific‹ selbst sah verwahrlost aus. An manchen Stellen schaute das Blech unter der abgeblätterten Farbe hervor, und die Kupferteile waren mit Grünspan überzogen.
Auf dem Bug stand in wackligen Buchstaben: Zu verkaufen.
Es war gerade die Zeit, zu der die Yachtmatrosen, frisch gewaschen und steif in ihren Uniformen daherstolzierend, grüppchenweise wie Soldaten in die Stadt marschierten.
Als Maigret wieder an der ›Ardena‹ vorbeikam, fühlte er die Blicke der drei Personen auf sich gerichtet, und er hatte den Verdacht, daß ihn der Steward von einem Versteck auf der Kommandobrücke aus beobachtete.
Die Straßen waren beleuchtet. Maigret fand nur mit Mühe die Werkstatt wieder, in der er die letzte Auskunft haben wollte, die ihm noch fehlte.
»Wann hat Brown am Freitag seinen Wagen geholt?«
Man mußte den Mechaniker suchen.
Es war wenige Minuten vor fünf Uhr gewesen. Anders ausgedrückt, er hatte genügend Zeit gehabt, um wieder zurück zum Cap d’Antibes zu kommen.
»War er allein? … Hat draußen jemand auf ihn gewartet? … Wissen Sie genau, daß er nicht verwundet war?«
William Brown hatte die Liberty Bar um zwei Uhr verlassen. Was hatte er drei Stunden lang getrieben?
Maigret hatte keinen Grund mehr, sich länger in Cannes aufzuhalten. Er wartete auf den Bus, drückte sich, als er kam, in einen Sitz und ließ den Blick ziellos über die Landstraße schweifen, auf der die Autos mit eingeschalteten Scheinwerfern in langen Schlangen fuhren.
Der erste Mensch, den er sah, als er an der Place Macé ausstieg, war Inspektor Boutigues, der auf der Terrasse des Café Glacier gesessen hatte und sich eiligst erhob.
»Wir suchen Sie schon seit heute morgen! Setzen Sie sich. Was nehmen Sie? Ober! Zwei Pernod …«
»Nicht für mich!« sagte Maigret. »Einen Enzian!« Er wollte
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