Maigret 17
wissen, wie das Gebräu schmeckte.
»Ich habe die Taxichauffeure gefragt, aber keiner von ihnen hat Sie gefahren. Dann habe ich mit den Busfahrern geredet und erfuhr, daß Sie in Cannes waren.«
Boutigues sprach plötzlich schnell. Und aufgeregt.
Maigret sah ihn verdutzt mit großen Augen an, was den kleinen Inspektor allerdings nicht daran hinderte weiterzureden:
»Es gibt nur fünf oder sechs Restaurants, in denen man anständig essen kann, und ich habe alle angerufen. Wo zum Teufel haben Sie gegessen?«
Boutigues wäre ganz schön erstaunt gewesen, wenn Maigret ihm erzählt hätte, was sich tatsächlich abgespielt hatte, wenn er von dem Hammelbraten und dem Salat mit Knoblauch in Jajas Küche berichtet hätte, von den zahlreichen Gläsern Whisky, die sie getrunken hatte, von Sylvie …
»Der Untersuchungsrichter will nichts ohne Sie unternehmen. Es gibt nämlich Neuigkeiten. Der Sohn ist angekommen.«
»Welcher Sohn?«
Maigret verzog das Gesicht. Er hatte eben einen Schluck Enzian getrunken.
»Der Sohn von Brown. Er war in Amsterdam, als …«
Maigret hatte entschieden Kopfschmerzen. Er gab sich redlich Mühe mitzudenken, aber es gelang ihm nur mit äußerster Anstrengung.
»Brown hatte einen Sohn?«
»Sogar mehrere. Von seiner richtigen Ehefrau, die in Australien lebt. Nur einer ist in Europa. Er handelt mit Wolle.«
»Mit Wolle?«
Boutigues mußte nicht gerade einen glänzenden Eindruck von ihm erhalten. Aber er war immer noch in der Liberty Bar. Genauer gesagt, dachte er gerade über den Kellner nach, der Rennwetten machte und mit dem Sylvie durchs Fenster gesprochen hatte.
»Ja! Die Browns gehören zu den größten Grundbesitzern in Australien. Sie züchten Schafe und exportieren die Wolle nach Europa. Einer der Söhne überwacht die Ländereien, ein anderer kümmert sich in Sydney um das Exportgeschäft, und der dritte, der in Europa lebt, reist von einem Hafen zum andern, je nachdem, wo die Wolle hinkommt, nach Liverpool, nach Le Havre, nach Amsterdam oder nach Hamburg. Und der ist es, der …«
»Und was sagt er?«
»Daß sein Vater so schnell wie möglich beerdigt werden muß und daß er alles zahlen wird. Er ist sehr in Eile, er muß morgen abend mit dem Flugzeug wieder wegfliegen.«
»Ist er in Antibes?«
»Nein, in Juan-les-Pins. Er wollte ein ganzes Appartement für sich allein in einem Luxushotel. Er war anscheinend die ganze Nacht lang mit der Zentrale in Nizza verbunden, um nach Antwerpen, nach Amsterdam und was weiß ich noch wohin zu telefonieren.«
»War er schon in der Villa?«
»Ich habe es ihm vorgeschlagen. Aber er hat abgelehnt.«
»Was hat er dann die ganze Zeit gemacht?«
»Er war beim Richter, das ist alles! Er hat immer nur erklärt, daß es schnell gehen muß, und gefragt wieviel.«
»Wieviel was?«
»Wieviel es kostet.«
Maigret blickte mit abwesender Miene über die Place Macé, und Boutigues fuhr fort:
»Der Richter hat den ganzen Nachmittag in seinem Büro auf Sie gewartet. Er kann die Bestattungserlaubnis nicht länger verweigern, nachdem die Autopsie vorgenommen worden ist. Der Sohn von Brown hat dreimal angerufen, und zuletzt haben wir ihm zugesagt, daß die Beerdigung morgen ganz früh stattfinden kann.«
»Ganz früh?«
»Ja, um eine Menschenansammlung zu vermeiden. Deshalb habe ich Sie gesucht. Der Sarg wird heute abend geschlossen. Wenn Sie also Brown sehen wollen, bevor …«
»Nein.«
Maigret hatte wahrhaftig keine Lust, den Leichnam zu sehen. Er kannte William Brown auch so schon gut genug.
Auf der Terrasse saßen viele Leute. Boutigues merkte, daß sie von mehreren Tischen aus beobachtet wurden, und ein wenig gefiel ihm das auch. Trotzdem flüsterte er:
»Reden wir leiser.«
»Wo wird er beerdigt?«
»Tja … auf dem Friedhof von Antibes. Der Leichenwagen wird um sieben Uhr morgens am Leichenschauhaus sein. Ich muß Browns Sohn nur noch mitteilen, daß es dabei bleibt.«
»Und die zwei Frauen?«
»Mit ihnen ist nichts vereinbart worden. Wahrscheinlich ist es dem Sohn lieber, wenn …«
»In welchem Hotel ist er abgestiegen, sagten Sie?«
»Im Provençal. Wollen Sie zu ihm?«
»Also dann bis morgen«, sagte Maigret nur. »Ich nehme an, Sie sind bei der Beerdigung dabei?«
Er war in einer merkwürdigen Stimmung, leicht euphorisch und gleichzeitig etwas umdüstert. Ein Taxi brachte ihn zum Provençal. Ein Portier empfing ihn, dann ein anderer betreßter Angestellter und schließlich ein schwarzgekleideter magerer junger Mann in einem
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