Maigret - 18 - Maigret in Nöten
Flusses drang ins Zimmer.
»Gassin! He! Gassin! …«
Bei der Gaslaterne bewegte sich etwas, aber sie horchten vergebens auf das Knirschen des Kieses im Hof.
»Ich weiß nicht, worauf er wartet. Im Grunde ist er der Einzige, der mich gemocht hat!«
Und während er das aussprach, starrte er Maigret an, wie um ihm zu sagen:
›Denn Sie, Sie haben ja nicht gewollt!‹
Der Tisch war abgeräumt bis auf den Rotwein, und Ducrau schenkte sich zweimal nacheinander sein Glas voll.
»Hören Sie mir gut zu: Auch wenn ich ins Detail gehe, es spielt keine Rolle, denn wenn ich will, werde ich morgen alles widerrufen. Eines Abends komme ich auf den Kahn Gassins …«
»Um deine Geliebte zu treffen …«, fuhr seine Tochter dazwischen.
Er aber sagte mit einem Schulterzucken, in einem undefinierbaren Ton, nichts weiter als:
»Arme Idiotin! … Was ich sagen wollte, Maigret: Eines Abends komme ich zu dem Kahn, angewidert, weil diese beiden Kretins, die Sie da vor sich sehen, einmal mehr versucht haben, mich zu bestehlen. Ich wundere mich gleich, das Licht aus der Luke nur halb zu sehen. Ich komme näher, und was sehe ich da: irgendeinen Schweinigel, der bäuchlings auf Deck liegt und meiner Tochter zusieht, wie sie sich auszieht …«
Er sagte › meiner Tochter‹ und sah sie dabei alle herausfordernd an, aber keiner reagierte.
»Ich habe mich ruhig zu ihm niedergebeugt, ihn am Handgelenk gepackt und zugedrückt, es ihm herumgedreht, bis er sich zu winden begann wie ein Wurm, und so hab ich ihn vor mir hergetrieben, bis er schon halb über Bord war …«
Er hatte sich wieder vor dem Fenster aufgepflanzt und redete in die feuchte Nacht hinaus, so dass man sehr gut hinhören musste, um ihn zu verstehen.
»Bis dahin war ich noch mit jedem fertig geworden. Aber diesmal ging es schief! Er hat mich mürbe gemacht! Das Biest hat aufgehört, sich zu winden! Er hat etwas aus der Tasche genommen, und plötzlich hab ich einen Hieb in meinem Rücken gespürt. Eine Sekunde nur, und er hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden und wuchtete mich mit der Schulter ins Wasser …«
Am beeindruckendsten war vielleicht, wie unbewegt seine Frau blieb. Es war kalt. Durchs offene Fenster drang nicht nur kühle Luft herein, sondern eine Schattenwelt, etwas, das fiebern und frösteln machte, etwas Bedrohliches.
»Gassin! He! Alter!«
Maigret drehte sich um und sah Gassin ans Tor gelehnt, das nicht abgeschlossen war.
»So ein Kauz!«, murmelte Ducrau und kam zum Tisch zurück, um sich Wein einzuschenken. »Hundertmal hat er die Zeit gehabt zu schießen. Er kann sogar näher kommen, so nahe, wie er nur will …«
Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, er hatte noch immer Angst. Vielleicht hatte er das Fenster letztlich nur aus Angst geöffnet und sich davorgestellt?
»Mélie! … Mélie! … Verdammt noch mal! …«
Endlich kam sie. Sie hatte ihre Schürze ausgezogen und einen Hut aufgesetzt.
»Was fällt dir denn ein?«
»Ich gehe.«
»Bevor du gehst, holst du mir den Alten, der beim Gitter steht. Verstanden? Sag ihm, ich will ihn unbedingt sprechen.«
Das Dienstmädchen rührte sich nicht.
»Wird’s bald?«
»Nein, Monsieur.«
»Du weigerst dich zu tun, was ich dir sage?«
»Ich gehe nicht hin, Monsieur.«
Sie war leichenblass vor Angst, diese magere, reizlose Frau, unweiblich, flachbrüstig; und doch widersetzte sie sich endlich Ducrau.
»Du weigerst dich?«
Er ging mit erhobener Hand auf sie zu.
»Du weigerst dich?«
»Ja! … Ja! … Ja! …«
Er schlug nicht zu. Kleinlaut ging er an ihr vorbei, als sehe er sie nicht, öffnete die Tür, und man hörte, wie er durch den Hof ging. Seine Tochter hatte sich nicht gerührt. Der Schwiegersohn beugte sich vor, um besser zu sehen. Nur seine Frau war langsam aufgestanden und ging lautlos zum Fenster. Maigret schien sich die allgemeine Unaufmerksamkeit zunutze zu machen, um sich zu trinken einzuschenken, und er ging erst zum Fenster, als das Tor knarrte.
Die beiden Männer standen beisammen, in ihrer so unterschiedlichen Statur, einen Meter voneinander entfernt. Man hörte nicht, was sie sprachen. Maigret vernahm ein klägliches, flötendes Stimmchen, dünn wie eine Kinderstimme, neben sich:
»Ich bitte Sie, ich flehe Sie an …«
Es war Madame Ducrau, die hinausschaute und diese unbestimmte, hilflose Bitte an Maigret richtete. Sie schlugen sich nicht, sie sprachen miteinander. Dann kamen sie in den Hof. Ducrau hatte die Hand auf Gassins Schulter gelegt und schien ihn vor
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