Maigret - 18 - Maigret in Nöten
Frau, meine Frau, all das zählt überhaupt nicht. Was wirklich zählt, sind zum Teufel wir beide, so wie wir damals …«
Gassin hielt sein Glas in der linken Hand. Die rechte hatte er nicht aus seiner Jackentasche genommen. Er hatte keine Waffe, so viel war sicher, denn Lucas war nicht der Typ, der sich irrte.
Auf der einen Seite des Alten, in zwei Metern Entfernung, stand Madame Ducrau, auf der andern Berthe.
Ducrau hatte sich mitten im Satz unterbrochen, als er Maigret hinter dem Schiffer stehen bleiben sah. Und dann spielte sich alles so schnell ab, dass keiner richtig begriff. Der Kommissar beugte sich vor und schlang seine kräftigen Arme um die Brust Gassins. Der Kampf war kurz. Ein armer Kerl, der vergeblich versuchte, sich loszuwinden. Berthe schrie vor Schreck auf, und ihr Mann machte zwei Schritte nach vorn, während Maigret mit der einen Hand die Tasche seines Widersachers durchwühlte und etwas daraus hervorholte.
Die Sache war gelaufen! Gassin, wieder Herr über sich selbst, kam wieder zu Atem. Ducrau wartete gespannt, was in Maigrets Hand zum Vorschein kommen würde, und der Kommissar, dem kalter Schweiß auf der Stirn stand, brauchte einen Augenblick, um sich zu erholen.
»Es besteht keine Gefahr mehr für Sie«, sagte er endlich.
Er stand hinter Gassin, so dass dieser ihn nicht sah. Als Ducrau herbeitrat, begnügte sich Maigret damit, seine rechte Faust halb zu öffnen: Eine Dynamitpatrone lag darin, von der Art, wie sie in Kiesgruben verwendet werden.
»Fahren Sie fort! …«, sagte er gleichzeitig.
Worauf Ducrau sich, die Hände in den Ärmelausschnitten seiner Weste, mit lauter, aber heiserer Stimme vernehmen ließ:
»Ich sagte eben, mein Alter …«
Er lächelte. Er lachte. Er musste sich setzen.
»Es ist zu schwachsinnig! …«
Und es war auch wirklich zu dumm für einen Mann wie ihn, dass ihm nun nachträglich die Knie weich wurden. Allerdings empfand Maigret, der neben Decharme an den Kamin gelehnt stand, ebenfalls einen unangenehmen Schwindel, und er wartete, dass er nachließ.
11
Das Rauschen des Regens draußen vor dem offenen Fenster war so gleichmäßig wie das eines Rasensprengers in einem Gemüsegarten, und jeder Windstoß trug den Geruch von feuchter Erde in das Speisezimmer.
Von weitem, für Wachtmeister Lucas zum Beispiel, musste der Anblick der reglos wie die Figuren auf einem Gemälde Dasitzenden und -stehenden etwas Unbegreifliches haben.
Als Erster gab sich Ducrau einen Ruck. Seufzend bemerkte er:
»Das war’s, Kinder!«
Nicht, dass er damit etwas Bestimmtes sagen wollte, aber immerhin löste sich so die Spannung ein wenig. Er regte sich und durchbrach das starre Brüten, in dem alle verharrten. Er blickte mit derselben Verwunderung um sich wie jemand, der erwartet, es habe sich etwas geändert.
Aber es hatte sich nichts verändert. Jeder war still und verstockt auf seinem Platz, so dass Ducraus Schritte, als er zur Tür ging, geradezu einen Heidenlärm verursachten.
»Nun ist sie weg, diese affige Mélie …«, brummte er, als er zurückkam.
Und, an seine Frau gewandt:
»Jeanne, geh bitte Kaffeewasser aufsetzen.«
Sie ging hinaus. Die Küche musste sich direkt nebenan befinden, denn sogleich setzte das Geräusch der Kaffeemühle ein, und Berthe erhob sich, um abzuräumen.
»Das war’s! …«, sagte Ducrau nochmals, diesmal in erster Linie zu Maigret.
Aus seinem über die Runde schweifenden Blick ließ sich auch der Sinn dieser Bemerkung erkennen:
›Das Drama hat ein Ende. Nun ist die Familie wieder versammelt, der Kaffee wird zubereitet, Tassen und Teller klappern …‹
Er war ermattet, leer und traurig. Wie einer, der nicht weiß, was er weiter tun soll, nahm er die Patrone vom Kamin, wohin Maigret sie gelegt hatte, und sah sich die Marke an. Dann wandte er sich an Gassin:
»Die ist aus einer meiner Gruben, nicht? Aus Venteuil?«
Der Alte nickte. Ducrau sah den Sprengkörper nachdenklich an und erklärte:
»Wir hatten immer welche an Bord, erinnerst du dich, und ließen sie explodieren, sooft wir an eine besonders fischreiche Stelle kamen.«
Dann legte er die Patrone wieder an ihren Platz. Er wollte sich nicht setzen, aber auch nicht stehen bleiben. Vermutlich hätte er gern geredet, aber er wusste nicht recht, was er sagen sollte.
»Verstehst du, Gassin?«, seufzte er endlich und pflanzte sich einen Schritt vor dem Kapitän auf.
Dieser heftete den Blick seiner kleinen, leblosen Augen auf ihn.
»Nein, ich sehe, du verstehst nicht, aber das
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