Maigret - 29 - Maigret und sein Toter
morgens. Maigret schüttete den Ofen bis obenhin auf, machte sich einen starken Grog, vergewisserte sich, dass alles in Ordnung war, schob den Riegel vor und stieg dann mit schweren Schritten die Wendeltreppe hinauf, wie jemand, der müde ist und sich schlafen legt.
Im Schrank hing ein Morgenmantel aus blauem Flanell, mit Aufschlägen aus Kunstseide, aber er war ihm viel zu klein und zu eng. Auch die Pantoffeln, die am Fußende des Bettes standen, passten ihm nicht.
Er behielt die Socken an, wickelte sich in eine Decke ein und machte es sich mit einem Kissen unterm Kopf auf dem Diwan bequem. Die Fenster im ersten Stock hatten keine Läden. Der Schein einer Gaslaterne fiel durch die gemusterten Vorhänge und warf verschlungene Arabesken auf die Wände.
Er betrachtete das Schattenspiel mit halbgeschlossenen Augen und rauchte genießerisch die letzte Pfeife des Tages. Er gewöhnte sich ein. Er probierte das Haus, wie man ein neues Kleidungsstück probiert, und schon wurde ihm der Geruch vertraut; ein zugleich herber und süßer Geruch, der ihn irgendwie ans Landleben erinnerte.
Warum hatte man Nines Fotos entfernt? Warum war sie selbst verschwunden und hatte das Haus im Stich gelassen? Nicht einmal das Geld aus der Kasse hatte sie mitgenommen. Allerdings waren auch gerade mal hundert Franc darin. Bestimmt bewahrte Albert sein Geld anderswo auf, und sie hatten es an sich genommen, genau wie sie alle seine persönlichen Papiere an sich genommen hatten.
Es war seltsam, dass diese peinlich genaue Hausdurchsuchung ohne Gewalt und fast ohne Unordnung vonstatten gegangen war. Man hatte die Kleider durchsucht, aber nicht von den Bügeln genommen. Man hatte die Fotos aus den Rahmen entfernt, diese aber wieder an ihren Nagel gehängt.
Maigret schlief ein, und als er hörte, wie unten jemand an die Läden klopfte, hätte er schwören mögen, dass er nur ein paar Minuten eingedämmert war.
Dabei war es schon sieben Uhr morgens. Es war bereits hell. Die Sonne schien auf die Seine, auf der die Lastschiffe sich wieder in Bewegung setzten und wo die Schlepper pfiffen.
Er zog sich schnell die Schuhe an, ohne die Schnürsenkel zuzubinden, und ging dann mit zerzaustem Haar, offenem Hemdkragen und zerknitterter Jacke hinunter, um zu öffnen.
Es waren Chevrier und eine recht hübsche Frau in marineblauem Kostüm und mit einem kleinen roten Hut auf dem strubbeligen Haar.
»Da sind wir, Chef.«
Chevrier war erst seit drei oder vier Jahren bei der Kriminalpolizei. Er ähnelte einem Schaf, so weich und rundlich waren Gesichtszüge und Figur. Die Frau zupfte ihn am Ärmel. Er verstand und stammelte:
»Pardon! Herr Kommissar, ich möchte Ihnen meine Frau vorstellen.«
»Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte sie tapfer. »Ich kenne mich aus. Meiner Mutter hat der Gasthof in unserem Dorf gehört, und wir haben manchmal mit nur zwei Kellnerinnen Hochzeiten für fünfzig Personen und mehr ausgerichtet.«
Sie ging sofort auf die Kaffeemaschine zu und sagte zu ihrem Mann:
»Gib mir deine Streichhölzer.«
Das Gas machte »pfff«, und ein paar Minuten später war das Haus von Kaffeeduft erfüllt.
Chevrier hatte eine schwarze Hose und ein weißes Hemd angezogen. Auch er schlüpfte sogleich in seine Rolle, stellte sich hinter die Theke und rückte einige Dinge zurecht.
»Sollen wir aufmachen?«
»Ja, natürlich. Es ist bestimmt schon so weit.«
»Wer soll die Einkäufe machen?«, fragte seine Frau.
»Sie können gleich nachher ein Taxi nehmen und möglichst in der Nähe alles Nötige besorgen.«
»Mögen Sie Kalbsbraten mit Sauerampfersauce?«
Sie hatte eine weiße Schürze mitgebracht. Sie war sehr fröhlich und lebhaft. Das Ganze begann wie ein heiteres Gesellschaftsspiel.
»Die Läden können geöffnet werden«, sagte der Kommissar. »Wenn Ihnen die Gäste Fragen stellen, antworten Sie, dass Sie zur Vertretung hier sind.«
Er ging ins Schlafzimmer hinauf, fand einen Rasierapparat, Rasierseife und einen Pinsel. Warum sollte er sie eigentlich nicht benützen? Der kleine Albert schien sauber und gesund gewesen zu sein.
Er machte sich in aller Ruhe zurecht, und als er wieder hinunterging, war Chevriers Frau schon unterwegs, um ihre Einkäufe zu machen. An der Theke lehnten zwei Männer, Matrosen, die Kaffee und Schnaps tranken. Es kümmerte sie offensichtlich wenig, wer hier der Wirt war. Bestimmt waren sie auf der Durchreise. Sie sprachen von einer Schleuse, deren Tor am Tag zuvor von einem Schlepper beinahe eingedrückt
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