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Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Frauen, noch ganz verschlafen, mit bleichen Gesichtern, alle mit der gleichen ängstlichen, manchmal auch verstörten Miene.
    »Ihre Papiere!«
    Barfuß liefen sie zum Bett, suchten unter dem Kopfkissen oder in einer Schublade oder mussten auch einen altmodischen, abgenutzten Koffer durchwühlen, der vom anderen Ende Europas kam.
    Im ›Hôtel du Lion d’Or‹ blieb ein splitternackter Mann mit herabbaumelnden Beinen auf dem Bett sitzen, während seine Begleiterin ihren Prostituierten-Ausweis zeigte.
    »Und du?«
    Er blickte den Inspektor verständnislos an.
    »Dein Pass!«
    Er rührte sich immer noch nicht. Sein ganzer Körper war dicht mit kohlschwarzen, langen Haaren bewachsen, und die Haut wirkte dadurch noch weißer. Die Leute aus den benachbarten Zimmern sahen ihn grinsend an.
    »Wer ist das?«, fragte der Inspektor das Mädchen.
    »Weiß ich nicht.«
    »Hat er dir nichts erzählt?«
    »Er spricht kein Wort Französisch.«
    »Wo hast du ihn kennengelernt?«
    »Auf der Straße.«
    Zur Präfektur! Man drückte ihm seine Kleider in die Hand, machte ihm ein Zeichen, dass er sich wieder anziehen solle. Es dauerte lange, bis er begriff; er protestierte, wandte sich seiner Begleiterin zu, von der er anscheinend etwas verlangte. Wahrscheinlich sein Geld. Vielleicht war er erst an diesem Abend in Frankreich angekommen und würde seine erste Nacht im Kittchen verbringen.
    »Papiere …«
    Türen öffneten sich, ließen verwahrloste Zimmer sahen, denen – außer dem typischen Geruch des Hauses – noch der Geruch seiner Gäste entströmte, die sich für eine Woche oder eine Nacht dort einquartiert hatten.
    Fünfzehn, zwanzig Personen standen dicht gedrängt vor den Gefängniswagen. Man schob sie, einen nach dem anderen, hinein, und einige der Mädchen, die das schon oft erlebt hatten, scherzten mit den Polizisten. Manche amüsierten sich sogar damit, obszöne Gesten in Richtung der Polizisten zu machen.
    Andere weinten. Männer ballten die Fäuste, darunter ein Halbwüchsiger mit glattrasiertem Schädel, der keine Papiere hatte und bei dem ein Revolver gefunden worden war.
    Ob in den Hotels oder auf der Straße – es war nur eine ganz grobe Auslese möglich. Die eigentliche Arbeit begann in der Polizeipräfektur, entweder im Laufe der Nacht oder am nächsten Morgen.
    »Papiere …«
    Die Wirte waren am nervösesten, weil ihre Konzession auf dem Spiel stand. Und doch war bei keinem alles in Ordnung. Alle hatten Gäste bei sich aufgenommen, ohne sie einzutragen.
    »Wissen Sie, Herr Inspektor, ich habe immer auf Ordnung gehalten, aber wenn ein Gast um Mitternacht daherkommt und man ganz verschlafen ist …«
    Im ›Hôtel du Lion d’Or‹, unter dessen Milchglaslampe Maigret stand, öffnete sich ein Fenster. Ein Pfiff ertönte. Der Kommissar ging ein paar Schritte vor und hob den Kopf.
    »Was ist los?«
    Wie zufällig befand sich da oben ein blutjunger Inspektor. Er rief ganz aufgeregt:
    »Ich glaube, Sie sollten raufkommen.«
    Maigret stieg die enge Treppe hinauf, und Lucas folgte dicht hinter ihm. Er berührte zugleich das Geländer und die Wand. Die Stufen knarrten. Vor Jahrzehnten, um nicht zu sagen Jahrhunderten, hätten alle diese Häuser abgerissen oder vielmehr mitsamt ihrem Ungeziefer aus aller Herren Länder verbrannt werden müssen.
    Es war im zweiten Stock. Eine Tür stand offen. Eine schwache elektrische Birne ohne Schirm, in der man die glühenden Metallfäden sah, baumelte an einer Schnur von der Decke. Kein Mensch war im Zimmer. Es standen nur zwei Eisenbetten darin, von denen nur das eine in Unordnung war. Auf dem Fußboden lagen eine Matratze, Decken aus billiger grauer Wolle und auf einem Stuhl eine Jacke. Auf dem Tisch ein Spirituskocher, Essensreste und leere Weinflaschen.
    »Hier lang, Chef.«
    Die Verbindungstür zum Nebenzimmer stand offen, und Maigret bemerkte eine Frau, die im Bett lag. Er sah ihr Gesicht auf dem Kopfkissen, ein Gesicht, aus dem ihm zwei faszinierende braune Augen wild entgegenfunkelten.
    »Wer ist das?«, fragte er.
    Selten hatte er ein so ausdrucksvolles Gesicht gesehen. Und noch nie eines von solcher Wildheit.
    »Sehen Sie sie sich gut an«, stotterte der Inspektor. »Ich wollte sie dazu bringen aufzustehen. Ich habe mit ihr gesprochen, aber sie hat mir nicht einmal eine Antwort gegeben. Also bin ich zum Bett hingegangen und habe versucht, sie an der Schulter zu rütteln. Da hat sie mich blutig gebissen.«
    Die Frau lächelte nicht, als sie sah, wie der Inspektor Maigret

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