Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
Verbrechen diese Ehre verdankte. Niemand schien sich wegen des Mordes an Marcellin Gedanken zu machen. Die Gruppen, die man eben am Landungssteg gesehen hatte, waren jetzt bis auf den Platz vorgedrungen und näherten sich unauffällig der ›Arche Noah‹. Einige setzten sich sogar auf die Terrasse.
Das einzige jedenfalls, was sie interessierte, war, Maigret leibhaft vor sich zu sehen, als wäre eine berühmte Filmschauspielerin eingetroffen. Machte er eine gute Figur? Besitzen die Leute von Scotland Yard mehr Sicherheit beim Beginn einer Untersuchung? Mr. Pyke sah dem allem zu und sagte kein Wort.
»Ich würde mich gern ein wenig frischmachen«, seufzte Maigret schließlich, nachdem er zwei Glas Weißwein getrunken hatte.
»Jojo, zeig doch bitte Monsieur Maigret sein Zimmer. Geht Ihr Freund auch mit hinauf, Herr Kommissar?«
Jojo war ein Mädchen mit schwarzem Haar und schwarzem Kleid, einem breiten Lächeln im Gesicht und spitzen Brüsten.
Im ganzen Haus roch es nach Bouillabaisse und Safran. Am Flur oben, der ebenso wie der Schankraum mit roten Fliesen ausgelegt war, befanden sich nur drei oder vier Fremdenzimmer, und man hatte tatsächlich dem Kommissar das schönste reserviert: das eine Fenster ging auf den Platz und das andere auf das Meer. Mußte er es nicht Mr. Pyke überlassen? Aber es war bereits zu spät. Man hatte diesem schon ein anderes angewiesen.
»Brauchen Sie sonst noch etwas, Monsieur Maigret? Das Badezimmer ist hinten im Flur. Ich glaube, das Wasser ist gerade heiß.«
Lechat hatte ihn begleitet. Das war ganz natürlich. Das war ganz normal. Dennoch ließ er ihn nicht in sein Zimmer eintreten. Ihm wäre das als nicht sehr taktvoll seinem englischen Kollegen gegenüber erschienen. Dieser hätte denken können, daß man ihm etwas verberge, daß man ihn nicht an der ganzen Untersuchung teilnehmen lasse.
»Ich komme in ein paar Minuten hinunter, Lechat.«
Er hätte gern ein freundliches Wort für den Inspektor gefunden, der sich seiner so umsichtig annahm. Er glaubte sich zu erinnern, daß in Luçon viel von seiner Frau die Rede gewesen war. Im Türrahmen stehend, fragte er ihn darum freundschaftlich und vertraulich:
»Wie geht es Ihrer prächtigen Frau?«
Und der arme Kerl konnte nur stammeln:
»Wissen Sie das noch nicht? Sie ist auf und davon. Schon vor acht Jahren.«
Solch eine blöde Frage! Plötzlich fiel ihm alles wieder ein. Wenn man in Luçon von Madame Lechat soviel sprach, dann nur darum, weil sie ihren Mann nach Strich und Faden betrog.
In seinem Zimmer zog er seine Jacke aus, wusch sich Hände und Gesicht, putzte sich die Zähne, reckte und streckte sich vor dem Fenster und legte sich einige Minuten aufs Bett, wie um die Sprungfedern auszuprobieren. Die Einrichtung war altmodisch, aber freundlich, und auch hier spürte man den guten Duft der südlichen Küche, der in alle Winkel des Hauses drang. Maigret überlegte, ob er bei der Hitze in Hemdsärmeln hinuntergehen könne. Aber das schien ihm doch zu urlaubshaft, und so zog er seine Jacke wieder an. Als er hinunterkam, standen mehrere Menschen an der Theke, vor allem Männer in Fischerkleidung. Lechat erwartete ihn an der Tür.
»Wollen Sie ein Stück Spazierengehen, Chef?«
»Wir wollen doch lieber noch auf Mr. Pyke warten.«
»Er ist schon draußen.«
»Wo denn?«
»Im Wasser. Paul hat ihm einen Badeanzug geliehen.«
Sie wandten sich, ohne es eigentlich zu merken, zum Hafen. Der etwas abfallende Weg führte von selber dorthin. Man spürte, daß jeder unwillkürlich in die gleiche Richtung strebte.
»Ich glaube, Chef, Sie müssen sehr vorsichtig sein. Der Mörder Marcellins ist Ihnen nicht gut gewogen. Er wird sich sicher diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.«
»Nun, erst soll mal Mr. Pyke wieder aus dem Wasser heraus sein.«
Lechat deutete auf einen Kopf, der jenseits der Boote auftauchte.
»Befaßt er sich mit der Untersuchung?«
»Er nimmt daran teil. Er darf nicht den Eindruck haben, daß wir etwas hinter seinem Rücken tun.«
»Im ›Grandhotel‹ hätten wir mehr Ruhe gehabt. Es ist den ganzen Winter geschlossen, und da es erst vor kurzem wieder aufgemacht hat, ist dort noch niemand. Nur bei Paul treffen sich alle. Dort hat auch die ganze Geschichte begonnen, weil Marcellin da von Ihnen gesprochen und behauptet hat, Sie seien sein Freund.«
»Warten wir auf Mr. Pyke.«
»Wollen Sie die Leute vor ihm vernehmen?«
»Das werde ich wohl müssen.«
Lechat schnitt ein Gesicht, wagte aber nichts
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