Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
Tisch neben dem seinen sitzen. Das ist Chariot. Als wir vorhin an Land gingen, hat er Ihnen guten Tag gesagt, Chef. Ich habe ihn gebeten, hierzubleiben, und er hat nicht dagegen protestiert. Seltsamerweise hat nicht ein einziger wegfahren wollen. Sie sind alle sehr ruhig und brav.«
»Und was ist das da für eine große Jacht?«
Fast den ganzen Hafen nahm eine riesige, nicht sehr schöne, ganz aus Metall bestehende weiße Jacht ein.
»Die ›Alcyon‹? Sie liegt da das ganze Jahr. Sie gehört einem Industriellen in Lyon, Monsieur Jaureguy, der sie aber immer nur acht Tage im Jahre benutzt. Und das bloß, um ganz allein einen Schuß weit von der Insel zu baden. Es sind zwei Matrosen an Bord, zwei Bretonen. Die haben ein herrliches Faulenzerleben.«
Wartete der Engländer darauf, daß Maigret sich Notizen machte? Er sah ihn seine Pfeife rauchen und gelangweilt um sich blicken, während er Lechat nur halb zuhörte.
»Sehen Sie das kleine grüne Schiff daneben, das eine so drollige Form hat? Die Kabine ist nur winzig, aber trotzdem hausen dort zwei Personen, ein Mann und eine Frau. Sie haben sich auf Deck aus dem Segel ein Zelt gemacht, und dort schlafen sie meistens und kochen und waschen sich auch da. Es sind keine Stammgäste der Insel. Sie sind eines Morgens dort vor Anker gegangen und seitdem geblieben. Der Mann heißt Jef van Greef und ist Holländer. Von Beruf ist er Maler und erst vierundzwanzig Jahre alt. Sie werden ihn noch kennenlernen. Die Frau heißt Anna, ist aber nicht mit ihm verheiratet, wie ich aus ihren Papieren ersehen habe. Sie ist achtzehn Jahre alt und in Ostende geboren. Sie ist immer halb nackt und manchmal sogar noch mehr. Wenn es abends dunkel wird, kann man die beiden am Ende des Landungsstegs splitternackt baden sehen.«
Für Mr. Pyke fügte Lechat noch ausdrücklich hinzu:
»Wenn ich den Fischern glauben darf, macht es Mrs. Wilcox in der Nähe ihrer Jacht übrigens ebenso.«
Man beobachtete sie von fern. Es waren immer noch diese kleinen Gruppen, die den lieben langen Tag anscheinend nichts anderes zu tun hatten.
»Noch fünfzig Meter, und Sie werden Marcellins Boot sehen.«
Der Hafen war jetzt nicht mehr von den Rückfronten der Häuser des Platzes umsäumt, sondern von Villen, die meistens im Grün versteckt lagen.
»Bis auf zwei sind sie alle leer«, erklärte Lechat. »Ich werde Ihnen sagen, wem sie gehören. Die dort ist die von Monsieur Emil und seiner Mutter. Ich habe ihnen schon von dem Minarett erzählt.«
Eine Stützmauer trennte die Gärten vom Meer. Jede Villa hatte ihren kleinen Landungssteg. An einem dieser Stege war ein ungefähr sechs Meter langes, an beiden Enden spitzes Boot, wie man sie hier hatte, festgemacht.
»Das ist Marcellins Boot.«
Es war schmutzig und an Deck völlig unaufgeräumt. Von der Wand hob sich ein aus dicken Steinen gebauter Herd ab, auf dem man einen Topf, vom Rauch geschwärzte Kannen und leere Flaschen sah.
»Stimmt das, daß Sie ihn gekannt haben, Chef? Ist er Ihnen in Paris begegnet?«
»Ja, in Paris.«
»Die Einheimischen wollen nicht glauben, daß er in Le Havre geboren ist. Alle sind davon überzeugt, daß er ein echter Südländer war, weil er genauso sprach. Ein ulkiger Kerl war das. Er lebte ganz auf seinem Schiff, und nur hin und wieder machte er eine Tour auf den Kontinent, wie er das nannte. Er fuhr bis nach Giens, St. Tropez oder Lavandou. Wenn das Wetter zu schlecht war, schlief er in der Hütte, die Sie dort hinten über dem Hafen sehen. Dort kochen die Fischer ihre Netze aus. Er hatte keinerlei Bedürfnisse. Der Metzger steckte ihm dann und wann ein Stück Fleisch zu. Er fischte nicht viel, eigentlich nur im Sommer, wenn er Touristen herumfuhr. Es gibt manche seiner Art an der Küste.«
»Haben Sie die in England auch?« fragte Maigret Mr. Pyke.
»Dafür ist es da zu kalt. Bei uns gibt’s nur die Strolche, die die Kais in den Häfen unsicher machen.«
»Trank er?«
»Weißwein. Wenn man ihn für eine Arbeit brauchte, bezahlte man ihn mit einer Flasche Weißwein. Er verdiente auch beim Boulespiel, denn darin war er Meister. Auf dem Boot habe ich den Brief gefunden. Ich werde ihn Ihnen nachher geben. Ich habe ihn auf der Bürgermeisterei gelassen.«
»Und keine anderen Papiere sonst?«
»Seinen Militärpaß, ein Foto einer Frau, das war alles. Merkwürdig, daß er sich Ihren Brief aufgehoben hat. Finden Sie nicht auch?«
Maigret fand das gar nicht so sehr erstaunlich. Er hätte gern mit Mr. Pyke darüber
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