Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
dagegen einzuwenden.
»Wo wollen Sie sie vorladen? Es wird da wohl nur die Bürgermeisterei in Frage kommen. Sie besteht zwar bloß aus einem Raum mit Bänken, einem Tisch, Fahnen des 14. Juli und einer Büste der Republik. Der Bürgermeister ist zugleich der Besitzer des Kramladens neben der ›Arche Noah‹. Der dort unten, der den Karren schiebt, das ist er.«
Mr. Pyke stand jetzt am Ufer neben einer an einer Kette befestigten Barke, ging friedlich ein paar Schritte durchs Wasser, bespritzte sich dabei in der Sonne.
»Das Wasser ist wunderbar«, sagte er.
»Wenn es Ihnen recht ist, warten wir hier, bis Sie sich wieder angezogen haben.«
»Ich fühle mich so ganz wohl.«
Diesmal konnte Mr. Pyke wieder einen Punkt für sich buchen. Er fühlte sich tatsächlich in seinem Badeanzug, während die Salzwassertropfen an seinem schlanken Körper herunterrannen, genauso ›angezogen‹ wie in seinem grauen Anzug. Er deutete auf eine schwarze Jacht, die aber nicht im Hafen, sondern einige Kabellängen entfernt vor Anker lag. Man konnte an ihr die englische Flagge erkennen.
»Was ist das für ein Schiff?«
Lechat erklärte:
»Es heißt ›North Star‹. Das scheint soviel wie Nordstern zu bedeuten. Es kommt fast jedes Jahr hierher. Es gehört Mrs. Ellen Wilcox: so heißt, glaube ich, auch ein Whisky. Sie ist die Besitzerin der Whisky-Fabrik Wilcox.«
»Ist sie noch jung?«
»Sie hat sich ganz gut gehalten. Sie lebt an Bord mit ihrem Sekretär, Philippe de Moricourt, und zwei Matrosen. Auf der Insel lebt übrigens noch ein anderer Engländer fast das ganze Jahr. Sie können sein Haus von hier sehen. Es ist das dort mit dem Minarett daneben.«
Mr. Pyke schien nicht allzu begeistert zu sein, hier Landsleute zu treffen.
»Das ist Major Bellam, aber die Inselbewohner nennen ihn einfach Major und manchmal Teddy.«
»Das ist wohl ein Major der indischen Armee?«
»Ich weiß es nicht.«
»Trinkt er viel?«
»Ja, viel. Sie werden ihn heute abend in der ›Arche‹ sehen und auch die anderen alle, einschließlich Mrs. Wilcox und ihrem Sekretär.«
»Waren sie dabei, als Marcellin seine Reden schwang?« fragte Maigret, um irgend etwas zu sagen, denn in Wirklichkeit interessierte er sich noch für nichts.
»Ja, sie waren dabei. Es war praktisch alles in der ›Arche‹ wie jeden Abend. In ein oder zwei Wochen werden die Touristen wieder auf die Insel geströmt kommen, und dann wird das ein ganz anderes Leben. Im Augenblick ist es nicht mehr ganz das Winterleben, wenn die Einheimischen allein auf ihrer Insel sind, aber auch noch nicht das, was man als Saison bezeichnet.
Nur die Stammgäste sind schon eingetroffen. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen. Die meisten kommen schon seit Jahren her und kennen jeden. Der Major lebt seit acht Jahren im Minarett. Die Nachbarvilla ist die von Monsieur Emil.«
Lechat blickte Maigret an und verstummte einen Augenblick. Vielleicht empfand auch er vor dem Engländer so etwas wie patriotische Scham.
»Monsieur Emil?«
»Sie kennen ihn. Jedenfalls kennt er Sie. Er lebt mit seiner Mutter zusammen, der alten Justine, die eine der berühmtesten Frauen der Küste ist. Ihr gehören die ›Fleur‹ in Marseille, die ›Sirénes‹ in Nizza und zwei oder drei Häuser in Toulon, Béziers, Avignon.«
Hatte Mr. Pyke verstanden, um welche Art von Häusern es sich handelte?
»Justine ist neunundsiebzig Jahre alt. Ich hatte sie eigentlich für älter gehalten, denn Monsieur Emil gibt sich für fünfundsechzig aus. Sie muß ihn also schon mit vierzehn Jahren bekommen haben. Wenigstens hat sie es mir erst gestern versichert. Sie sind alle beide sehr ruhig und empfangen nie Besuch. Ach, da können Sie ihn übrigens sehen. Der Mann dort im weißen Anzug und Tropenhut drüben in dem Garten, das ist er. Er sieht wie eine weiße Maus aus. Er besitzt sein kleines Boot wie alle hier, aber er fährt kaum jemals über den Landungssteg hinaus, an dessen Ende er immer stundenlang sitzt und Meerjunker angelt.«
»Was ist das?« fragte Mr. Pyke, dessen Haut allmählich trocken wurde.
»Meerjunker? Das ist ein sehr hübscher kleiner Fisch mit roten und blauen Flecken auf dem Rücken. Gebraten schmeckt er nicht schlecht, aber ein ernster Fischfang ist das natürlich nicht.«
»Ich verstehe.«
Sie stapften alle drei durch den Sand, an dem letzten der Häuser vorüber, deren Fassade auf den Platz ging.
»Aus dem gleichen Milieu ist noch ein anderer hier. Wir werden wahrscheinlich beim Essen am
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