Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
gegangen war, nicht geschlafen? Das Fenster stand offen, und ein Geräusch hatte ihn beunruhigt. Er hatte schließlich gemerkt, daß es das Rascheln der Blätter in den Bäumen auf dem Platz war.
Der Geruch, der von unten kam, ließ sich im Grunde mit dem eines kleinen Lokals in Cannes vergleichen, das von einer dicken Frau geführt wurde. Er hatte früher einmal dort Nachforschungen anstellen müssen und viele Stunden untätig herumgesessen.
Der Geruch des Zimmers indessen war ihm völlig unvertraut. Womit mochte die Matratze gestopft sein? Mit Seegras, wie in der Bretagne, das den Jodgeruch des Meeres hat? Schon viele andere Leute hatten vor ihm in diesem Bett geschlafen, und er glaubte immer wieder den Duft jenes Öls in der Nase zu spüren, mit dem Frauen sich einreiben, bevor sie ein Sonnenbad nehmen. Er drehte sich mühsam auf die andere Seite, zum zehnten Male mindestens schon, und er hörte, wie sich draußen eine Tür öffnete und jemand auf den Flur trat, um zur Toilette zu gehen. Daran war nichts Ungewöhnliches, aber er hatte das Gefühl, daß da mehr Leute aus- und eingingen, als im Hause waren. In Gedanken begann er die Bewohner der ›Arche‹ zu zählen. Paul und seine Frau schliefen über ihm in einer Mansarde, zu der man auf einer Art Leiter gelangte. Wo Jojo schlief, wußte er nicht. Im ersten Stock jedenfalls bestimmt nicht.
Sie hatte auch einen ganz eigenen Geruch. Der stammte teils von ihren geölten Haaren, teils von ihrem Körper und es war ein zugleich starker und würziger, dabei aber nicht unangenehmer Geruch. Schon gleich, als er mit ihr gesprochen hatte, war ihm dieser Geruch aufgefallen.
Da war noch etwas, was Mr. Pyke hätte vermuten lassen können, Maigret führe ihn hinters Licht. Nach dem Essen war der Kommissar für einen Augenblick in sein Zimmer hinaufgegangen, um sich die Zähne zu putzen und die Hände zu waschen. Er hatte die Tür offengelassen, und ohne daß er sie gehört hatte, war Jojo plötzlich hereingehuscht. Wie alt mochte sie sein? Sechzehn Jahre? Zwanzig Jahre? Sie hatte den zugleich bewundernden und ängstlichen Blick jener kleinen Mädchen, die sich vor dem Bühnenausgang eines Theaters aufstellen, um von einem Künstler ein Autogramm zu erbetteln. Maigret machte einen großen Eindruck auf sie, weil er berühmt war.
»Wollen Sie mir etwas sagen, mein Kind?«
Sie hatte die Tür hinter sich geschlossen, was ihm gar nicht lieb war, denn man weiß nie, was die Leute sich dabei denken. Obendrein war ein Engländer im Hause.
»Es ist wegen Marcellin«, sagte sie dann errötend. »Er hat an einem Nachmittag, als er sehr betrunken war und sich zu einem Schläfchen auf der Bank im Lokal niedergelegt hatte, mit mir gesprochen.«
Stimmt ja, vorhin, als es in der ›Arche‹ noch leer war, hatte er doch auch jemand auf jener Bank liegen sehen, mit einer Zeitung auf dem Kopf, ein Nickerchen machend. Es war dort eben schön kühl. Dennoch, was für ein seltsames Haus! Was den Geruch betraf …
»Ich habe gedacht, das könnte Ihnen vielleicht etwas nützen. Er hat mir gesagt, wenn er wollte, bekäme er einen großen Haufen!«
»Was für einen Haufen?«
»Geldscheine sicherlich.«
»Ist das schon lange her?«
»Ich glaube, zwei Tage, bevor der Mord passiert ist.«
»War sonst niemand im Lokal?«
»Nur ich. Ich putzte gerade die Theke.«
»Haben Sie mit jemand darüber gesprochen?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Hat er sonst noch etwas gesagt?«
»Bloß: ›Was sollte ich aber damit? Ich habe es hier ja so gut!‹«
»Hat er Ihnen nie den Hof gemacht? Nie etwas von Ihnen gewollt?«
»Nein.«
»Und die anderen?«
»Die fast alle.«
»Wenn Ginette hier war – denn sie kam doch wohl beinahe jeden Monat –, ist Marcellin dann niemals in ihr Zimmer hinaufgegangen?«
»Bestimmt nicht, er hatte großen Respekt vor ihr.«
»Kann man mit Ihnen wie mit einem Erwachsenen sprechen, Jojo?«
»Ich bin immerhin neunzehn.«
»Gut. Hatte Marcellin hin und wieder Verhältnisse mit Frauen?«
»Natürlich.«
»Auf der Insel?«
»Zuerst mit Nina. Sie ist meine Kusine. Sie macht das mit jedermann. Sie kann wohl nicht anders.«
»An Bord seines Bootes?«
»Irgendwo. Dann hatte er was mit der Witwe Lambert, der Wirtin von dem Café drüben auf dem Platz. Er verbrachte manchmal eine Nacht bei ihr. Wenn er Fische gefangen hatte, brachte er sie ihr. Jetzt, wo er tot ist, kann ich’s ja wohl sagen: Marcellin benutzte immer Dynamit zum Fischen.«
»Ist nie davon die Rede
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