Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
kannten sich, und man machte sich gegenseitig nicht viel vor. Der Major, der ein bekanntes englisches College besucht hatte, stand hier auf dem gleichen Fuß mit einem Strolch wie Marcellin oder Chariot. Von Zeit zu Zeit wechselte jemand den Platz und den Partner.
Zu Anfang hatten Emil und Ginette ruhig und stumm am selben Tisch gesessen, neben der Theke, wie ein altes Fischerpaar, das im Wartesaal eines Bahnhofs auf den Zug wartet. Emil hatte seinen gewohnten Tee bestellt, und vor Ginette stand ein grünlicher Likör in einem winzigen Glase. der Abend fortschritt, sich immer dichter an die Schulter ihres Freundes lehnte.
Van Greef sprach kein Wort mit ihr. Er schien überhaupt nicht viel mit ihr zu sprechen. Er war der Mann, der Herr, und sie hatte nur zu folgen und zu warten, bis es ihn nach etwas gelüstete. Er blickte um sich. Mit seinem sehr schmalen Gesicht glich er fast einem abgemagerten wilden Tier.
Die anderen waren gewiß auch keine Lämmer, aber van Greef war unbestreitbar ein wildes Tier. Er schnaufte genauso. Das war ein Tick bei ihm. Er hörte alles, was die anderen sagten, und schnaufte. Das war seine einzige erkennbare Reaktion.
Im Dschungel wäre der Major zweifellos ein Dickhäuter gewesen, ein Elefant oder richtiger ein Nilpferd. Und Emil? Er fletschte seltsam die Zähne und hatte irgend etwas Hinterhältiges.
Es war zum Lachen. Was würde Mr. Pyke denken, wenn er Maigrets Gedanken lesen könnte? Der Kommissar hatte allerdings die Entschuldigung für sich, daß er viel getrunken hatte und dabei halb eingeschlafen war. Hätte er seine Schlaflosigkeit vorausgeahnt, hätte er noch ein paar Gläser mehr getrunken, um gleich in einen traumlosen Schlaf zu sinken.
Lechat war im Grunde sehr tüchtig. So tüchtig, daß Maigret ihn gern in seiner Abteilung gehabt hätte. Noch ein wenig jung, ein wenig zappelig. Er war immer leicht erregt wie ein Jagdhund, der unablässig um seinen Herrn herumspringt.
Er kannte den Süden bereits, weil er zur Brigade von Draguignan gehörte, aber er war nur ein- oder zweimal nach Porquerolles gekommen. Trotzdem war ihm schon nach kaum drei Tagen die Insel ganz vertraut.
»Kommen die Leute von der ›North Star‹ nicht jeden Abend?«
»Fast jeden Abend. Manchmal kommen sie erst spät. Wenn das Meer ruhig ist, machen sie meist eine Fahrt im Mondschein.«
»Sind Mrs. Wilcox und der Major miteinander befreundet?«
»Sie vermeiden es sorgfältig, miteinander zu sprechen, und einer blickt den anderen an, als sähe er durch ihn hindurch.«
Das war immerhin verständlich. Sie stammten beide aus denselben Kreisen. Und beide rutschten sie hier, aus diesem oder jenem Grunde, immer tiefer herab.
Es mußte für den Major peinlich sein, sich vor den Augen von Mrs. Wilcox zu betrinken, denn in seinem Lande pflegen das die Männer nur hinter verschlossenen Türen und ganz unter sich zu tun.
Sie dagegen schämte sich gewiß vor dem ehemaligen Offizier der Indienarmee mit ihrem Moricourt.
Sie waren gegen elf Uhr abends gekommen. Wie das fast immer ist, entsprach sie so gar nicht dem Bild, das sich der Kommissar von ihr gemacht hatte. Er hatte sich eine Dame vorgestellt, und sie war eine rothaarige Frau – mit gefärbtem rotem Haar –, eine ziemlich dicke, schon verblühte Frau, deren rauhe Stimme der des Majors ähnelte, nur einen noch dunkleren Klang hatte. Sie trug ein Leinenkleid, aber am Hals ein aus drei Schnüren bestehendes, wahrscheinlich echtes Perlenkollier und einen großen Brillanten am Finger.
Sofort hatte sie nach Maigret ausgespäht. Philippe schien ihr schon von dem Kommissar berichtet zu haben, und nachdem sie sich gesetzt hatte, verrenkte sie sich fast den Hals nach ihm, während sie sich leise mit ihrem Begleiter unterhielt. Was mochte sie sagen? Ob sie ihn auch dick und gewöhnlich fand? Hatte sie sich ihn wie einen jungen Liebhaber vorgestellt? Vielleicht fand sie, daß er nicht sehr intelligent aussähe.
Das Paar trank Whisky mit sehr wenig Soda. Philippe machte einen verlegenen Eindruck. Es irritierte ihn, von dem Kommissar beobachtet zu werden. Er liebte es offenbar nicht, bei der Erfüllung seiner Pflichten Zuschauer zu haben. Sie hingegen tat alles, um zu zeigen, wie abhängig er von ihr war. Statt Jojo oder Paul zu rufen, ließ sie sich von ihm ihr Glas, das sie nicht sauber genug fand, gegen ein anderes eintauschen oder schickte ihn an die Theke, um Zigaretten zu holen. Einmal schickte sie ihn sogar, Gott weiß warum, hinaus.
Sie wollte ihre
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