Maigret - 35 - Maigrets Memoiren
Arbeitskräfte rekrutiert hat.
Die meisten haben sich als erstklassige Arbeiter erwiesen, viele sind achtbare französische Bürger geworden. Daneben aber gab es auch Abschaum, wie nicht anders zu erwarten war, und dieser Abschaum machte uns eine Zeitlang viel zu schaffen.
Ich spreche so zusammenhanglos von den Dingen, die mich in jenen Tagen beschäftigten, weil ich den Leser in die richtige Stimmung versetzen möchte.
»Ich will ihn noch zwei, drei Tage beschatten lassen, Chef. Bis jetzt hat er uns nirgends hingeführt. Aber einmal wird er ja wohl mit Komplizen zusammentreffen.«
»Der Minister wird ungeduldig, die Zeitungen …«
Immer die Zeitungen! Und immer an höchster Stelle die Angst vor den Zeitungen, vor der öffentlichen Meinung. Kaum ist ein Verbrechen begangen worden, wird auch schon von uns verlangt, daß wir irgendwie einen Schuldigen beibringen, koste es, was es wolle.
Wir können noch von Glück reden, wenn man uns nicht nach ein paar Tagen sagt:
»Stecken Sie jemanden in den Kasten, egal wen, nur bis die Gemüter sich beruhigt haben.«
Auf das Thema werde ich wahrscheinlich zurückkommen. An dem bewußten Tag ging es übrigens nicht um den Polen, sondern um einen Diebstahl, der soeben nach einer neuen Methode verübt worden war, und das geschieht selten.
Drei Tage zuvor, am hellen Mittag – die meisten Geschäfte waren schon geschlossen, die Besitzer essen gegangen – fuhr ein Lastwagen durch den Boulevard Saint-Denis und hielt vor einem kleinen Juwelierladen. Männer luden eine große Kiste ab, stellten sie dicht vor die Tür und fuhren wieder weg.
Hunderte von Passanten waren an der Kiste vorbeigegangen, ohne sich zu wundern. Der Juwelier dagegen hatte die Stirn gerunzelt, als er von seinem Imbiß im Restaurant zurückkehrte.
Und nachdem er die erstaunlich leichte Kiste beiseitegeschoben hatte, stellte er fest, daß in der Rückwand der Kiste, dort, wo sie die Ladentür berührte, ein Loch herausgesägt worden war, daß auch die Ladentür ein Loch aufwies und daß sowohl seine Regale als auch sein Kassenschrank ausgeplündert worden waren.
Es war einer dieser undankbaren Fälle, deren Untersuchung sich über Monate erstrecken kann und die den größten Mannschaftseinsatz erfordern. Die Einbrecher hatten weder einen Fingerabdruck noch einen Gegenstand, der sie verraten hätte, am Tatort hinterlassen.
Da es sich um eine neue Methode handelte, kam eine Fahndung in einem bestimmten Verbrechermilieu nicht in Frage.
Wir besaßen nichts als die Kiste, eine ganz gewöhnliche, wenn auch sehr sperrige Kiste, und seit drei Tagen war ein gutes Dutzend Inspektoren damit beschäftigt, sämtliche Kistenfabrikanten sowie alle Unternehmen, die große Kisten verwendeten, aufzusuchen.
Ich war also gerade in mein Büro zurückgekehrt und hatte einen Bericht zu schreiben begonnen, da klingelte das Haustelefon.
»Sind Sie es, Maigret? Könnten Sie auf einen Sprung zu mir kommen?«
Auch das war nichts Ungewöhnliches. Jeden oder doch fast jeden Tag konnte es geschehen, daß der große Chef mich außerhalb der Rapportsitzung ein oder mehrere Male zu sich rief. Ich kannte ihn seit meiner Kindheit. Er hatte seinen Urlaub oft unweit von uns im Allier-Departement verbracht und war mit meinem Vater befreundet gewesen.
Und dieser große Chef war in meinen Augen der große Chef im wahrsten Sinn des Wortes. Unter ihm hatte ich mir die ersten Sporen bei der Kriminalpolizei abverdient. Er war der Mann, der mich, wenn nicht gerade protegiert, so doch diskret und von seiner Höhe herab im Auge behalten hatte, der Mann, der einmal vor meinen Augen in seinem schwarzen Anzug, den steifen Hut auf dem Kopf, mutterseelenallein durch einen Kugelregen auf die Tür des Hauses zugeschritten war, wo Bonnot und seine Bande seit zwei Tagen die Polizei und Gendarmerie in Schach hielten.
Ich spreche von Xavier Guichard, meinem Chef mit den listigen Augen und der langen weißen Dichtermähne.
»Kommen Sie herein, Maigret.«
Der Morgen war so trüb, daß Guichard die Lampe mit dem grünen Schirm auf seinem Schreibtisch angezündet hatte. Neben dem Schreibtisch saß ein junger Mann. Er erhob sich und streckte mir die Hand entgegen, als wir einander vorgestellt wurden.
»Kommissar Maigret. Monsieur Georges Sim, Journalist …«
»Nicht Journalist, Schriftsteller«, verbesserte der junge Mann lächelnd.
Auch Xavier Guichard lächelte. Und was die Kunst des Lächelns betraf, so verfügte Xavier Guichard über eine ganze
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